Das Verlies der Stuerme
wirken, egal, wie sehr ihn das schwächte. Aiphyron durfte nicht sterben, auf keinen Fall. Das würde Ben niemals zulassen.
»Alles in Ordnung«, wiederholte Feuerschuppe laut, aber anscheinend nicht überzeugend genug. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Anula hinter ihnen in den unterirdischen Gang sprang. Sie hatte sich an der Liane herabgehangelt, einen schweren Dolch zwischen den Zähnen. Beim Aufprall fiel er ihr aus dem Mund, doch sie packte ihn sofort wieder und drehte sich lauernd in alle Richtungen, die Klinge zum Angriff erhoben. Als sie Ben entdeckte und die Lage begriff, steckte sie die Waffe weg und eilte herbei.
»Was ist?« Ihre Stimme zitterte.
»Aiphyron.« Mit einem Nicken deutete er auf die Wunde, deren Blutfluss nur langsam versiegte.
Schweigend setzte sich Anula hinter ihn und legte ihm die Hände auf die Schultern, als könne sie ihm so Kraft schenken. Und auch wenn sie über keine besondere Gabe verfügte, fühlte sich Ben besser. Dann vergaß er sie und dachte nur noch an Aiphyron.
Sehr viel später löste Ben seine Hände von der Wunde.
Die Arme zitterten, und er blieb einfach sitzen. Er konnte nicht aufstehen, würde sofort wieder umkippen.
»Wird er durchkommen?«, frage Anula.
»Ja.« Ben versuchte ein Lächeln. Es glückte fast, seine Lippen waren trocken. Als er mit der Zunge darüber fuhr, fühlte er, dass sie aufgeplatzt waren.
»Kann ich was helfen?«
»Wasser«, sagte Ben knapp, dann kroch er auf Knien zu Aiphyrons Kopf, um ihm die Hände vorsichtig auf das verletzte Auge zu legen. Als Ben bedächtig Druck ausübte, stöhnte der Drache. Er konnte Flügel nachwachsen lassen, da würde er doch so ein kleines Auge wieder in Ordnung bringen können.
Hinter ihm sprang Anula zum Schacht zurück und giftete Yanko an, er solle Wasser an der Liane herunterschaffen. Und zwar sofort, sonst würde sie ihm die Ohren so lang ziehen, dass sie die Liane ersetzen könnten.
Und das Wasser kam.
ENTSCHEIDUNG IN DER SONNE
A ls am nächsten Morgen spärliches Sonnenlicht durch den Schacht fiel, konnte Aiphyron auf dem verletzten Auge wieder sehen. Verschwommen zwar, und es war noch immer geschwollen, aber mit jeder Minute wurde es besser. Auch die Risse in den Flügeln wuchsen langsam wieder zusammen. Während der Nacht hatten sie sich direkt unter den Schacht geschleppt, fort von dem toten Angreifer, dorthin, wo sie wenigstens ein wenig Licht erahnen hatten können, als der Mond aufgegangen war. Noch nie hatte Ben die Sonne so sehr begrüßt wie die spärlichen Strahlen, die sich nun hierher verirrten.
»Danke«, brummte Aiphyron und zwinkerte unbeholfen mit dem dicken Auge.
»Ja, danke«, sagte Ben und boxte dem Drachen spielerisch auf die Schulter der unverletzten Seite, bevor er nach oben deutete. Das Ende des Schachts war über dreißig Schritt entfernt, bestimmt vierzig. »Ich muss dir danken. Du bist da einfach runtergesprungen.«
»Was hätte ich denn sonst tun sollen? Die lächerlich dünne Liane kann mich nicht halten, und zum Fliegen ist es zu eng.«
»Du hättest sterben können!«
»Du auch.«
Sie sahen einander an und grinsten unbeholfen. Dann husteten beide erschöpft, und Ben sagte: »Ich glaub, etwas von deinem Blut ist gestern in meine Adern gekommen und
meines in deine. Ich hoffe, mir wachsen jetzt keine Schuppen oder so.«
»Bloß nicht, dann sprießen mir am Ende so hässliche Haare auf dem Kopf.«
»Keine Angst, die kann man rasieren«, sagte Anula und gähnte. Sie war bei ihnen geblieben, hatte Wasser und Proviant entgegengenommen und Bens Wunden versorgt, als er eine kurze Pause beim Heilen eingelegt hatte. Irgendwann in der Nacht war sie eingenickt und eben wieder aufgewacht. »Aber so ein Bart in ein paar Jahren würde dir sicher stehen.«
Der Drache brummte etwas Unverständliches, das wenig zustimmend klang.
Dann rappelten sie sich auf und sahen nach dem toten Wesen, das Ben angegriffen hatte. Es lag noch immer weiter unten im Gang, wo kaum Tageslicht hinfiel. Die Fackel war längst erloschen, und das wenige Licht, das bis dorthin drang, schien von der Kreatur geschluckt zu werden. Wie ein Berg aus glänzender Schwärze lag es da. Die beiden kleinen Augen waren nun stumpf wie Kohlestücke, und selbst die lange Zunge, die aus dem riesigen Maul hing, und die spitzen schiefen Zähne darin waren schwarz.
Vollkommen verdreht lag es im Gang und trotzte dem Licht, ließ kaum Konturen erkennen und warf keinen Schatten. Oder vielleicht war das Gegenteil der
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