Das Verlies der Stuerme
die schimmernde Schwärze vor ihm um. Sie roch nach Moder und offenen Wunden, nach Fisch, der über Stunden in der brennenden Sonne gelegen hatte. Er vernahm lautes Schmatzen, und wieder durchzuckte ein Stechen seinen Kopf, als er sich zu erheben versuchte.
»Nein.« Nur ein Flüstern drang zwischen seinen Lippen hervor. Er schmeckte Blut.
Nein!
So wollte er nicht sterben, nicht so, und eigentlich überhaupt nicht.
»Ben!«, hörte er es in der Ferne, doch er wusste nicht, wer geschrien hatte. Es klang nach vielen Stimmen, sie alle hallten in seinem Kopf wider, voller Angst und Wut und Schmerz.
»Aiphyron!«, kreischte eine hohe Stimme, schrill und sich überschlagend vor Verzweiflung, und Ben dachte Anula.
Anula war ein guter letzter Gedanke, wenn er schon sterben musste.
Dann vernahm er wieder ein Schleifen, Knirschen und Knurren, und plötzlich prallte etwas dumpf auf den Boden hinter ihm, so schwer und hart, dass den Boden ein Zittern durchlief.
Nicht noch einer, dachte Ben, und er sah etwas in der massigen Schwärze vor sich blitzen, die kleinen kalten Augen eines Hais. Angst überschwemmte ihn und spülte jeden schönen Gedanken an Anula fort.
»Stirb, du stinkende Darmgeburt«, hörte er eine vertraute Stimme fauchen, und eine riesige Gestalt stürmte mit angelegten Flügeln an Ben vorbei und stürzte sich auf die Schwärze mit den kalten Haiaugen. Laut klatschten die beiden gigantischen Körper gegeneinander, Boden und Wände zitterten, lose Gesteinsbrocken brachen aus der Decke und polterten herab.
Aiphyron!
Bens Körper wurde von einem Schluchzen geschüttelt, Dankbarkeit vermischte sich mit Schmerz. Eine Träne rann ihm über die Wange, zornig wischte er sie weg. Er war doch kein Mädchen! Mühsam rappelte er sich auf, langsam verschwand das Schwindelgefühl. Er musste seinem Freund helfen! Nur was sollte er in diesem Kampf beitragen? Er war viel zu klein und schwach, um eine Unterstützung zu sein.
Licht, dachte er und torkelte zurück, um die Fackel zu holen. Dieses Ding kam in der Dunkelheit sicher besser zurecht als Aiphyron.
Er hörte den Drachen vor Schmerz brüllen und knurren vor Wut, dann wurde es plötzlich blendend hell. Ein Feuerstoß leckte durch die Dunkelheit, eine Hitzewelle schwappte über Ben hinweg. Es roch verbrannt, und ein schrilles Heulen gellte durch die Dunkelheit, doch der Kampf war noch nicht vorbei. Noch immer schlugen massige Körper gegen die Wände. Ben krallte sich die Fackel und stürzte zurück. Wo blieben denn die anderen?
»Hilfe!«, schrie er über die Schulter zurück.
»Weg da unten!«, drang es herab, und dann polterten Gesteinsbrocken, und etwas Großes schlitterte durch den Schacht.
»Verstärkung kommt!«, rief Ben Aiphyron aufmunternd zu.
Doch der Kampf war vorbei.
Heftig atmend lag Aiphyron auf dem steinigen Untergrund. Er blutete schwer aus einer Wunde an der linken Flanke, tiefe Risse durchzogen die Membranen seiner Flügel, und ein Auge quoll halb aus seiner Höhle. Es wirkte glasig und leer.
Vor dem Maul des Drachen lag ein schwarzer Haufen, der selbst das Fackellicht zu schlucken schien. Er rührte sich nicht.
»Aiphyron!«, keuchte Ben, und der Drache grinste schwach.
»Ausgesprochen gute Idee von dir, hier herunterzuklettern«, sagte Aiphyron und hustete. Unablässig tropfte Blut aus der Wunde an der Flanke, und das gesunde Auge zuckte vor Schmerzen.
Ben warf sich neben ihm auf die Knie. Die aufgerissenen Handflächen bluteten und brannten noch immer. Ben biss die Zähne zusammen und legte die Hände auf den tiefen Riss im Drachenkörper.
Hinter ihnen plumpste Feuerschuppe auf den Boden und eilte herbei.
»Ben!«, kreischte Anula von oben. Ihre Stimme hallte durch den Schacht. »Ben! Sag was!«
»Alles in Ordnung«, murmelte Ben schwach, der all seine Kraft für die Heilung brauchte. Er spürte, wie seine Gabe zu wirken begann, wie seine Hände warm wurden und kribbelten,
seine Arme bis über die Ellbogen hinauf, die Halsschlagader pochte. Er spürte, wie er Schwäche und Schmerz aus Aiphyron heraussog, wie er ihm Kraft übertrug, wie das Fleisch des Drachen zitterte, wie das Blut unter seinen Händen langsam gerann.
Das alles war ihm vertraut, und doch war es diesmal anders, denn er trug selbst offene Wunden, ihrer beider Blut vermischte sich, und das Kribbeln in Bens Händen wurde so stark, dass es sich in ein Stechen wandelte. Doch er nahm die Hände nicht fort, presste sie stur weiter auf die Wunde und ließ seine Gabe
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