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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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deine Gabe … Verstehst du nicht, dass ich nicht zurück kann? Und dass ich auch nicht hierbleiben kann? Allein!«
    »Aber wer sagt denn, dass du allein …«
    »Ja, was meinst du, mit wem die anderen alle mitgehen? Deine Freunde, deine Drachen! Ich hab nur noch dich, niemanden sonst, und wenn du gehst, dann muss ich mit! Ich zieh doch nicht in der verlassenen Höhle ein und warte auf das nächste Untier!«
    Ben öffnete den Mund und sagte dennoch nichts. Auf diesen Gedanken war er nie gekommen. Dass sie Angst hatte, er könnte sie zurücklassen. Um sie herum schrien Vögel, irgendwo knackte ein Ast. Sonst war alles ruhig, die Blätter hingen reglos in der Windstille. Seufzend ging er noch den letzten Schritt auf sie zu und umarmte sie. Sie hielt die Arme weiterhin verschränkt, wich jedoch nicht zurück.
    »Verstehst du das nicht?«, fragte sie leiser.

    »Doch, aber …« Unbeholfen strich ihr Ben durch das dunkle Haar und wollte ihr alle Angst nehmen, sie einfach heraussaugen wie den Schmerz aus Drachen, aber bei Menschen konnte er nichts tun. Er fühlte sich hilflos. »Aber ich bin der Einzige, der es tun kann. Niemand sonst kann den Drachen ihre Flügel wiedergeben.«
    »Und deshalb bist du dazu verpflichtet, oder was? Sie sind doch selbst schuld. Hätten sie sich halt nicht fangen lassen!«
    »Sie wollten Jungfrauen retten! Wie kann ich zulassen, dass sie bestraft werden, weil sie helfen wollen? Und gestern ist mir Aiphyron ohne zu zögern beigesprungen.«
    »Ich etwa nicht? Gerade hast du noch geschwärmt, dass ich so mutig war, und jetzt ist dir plötzlich Aiphyron lieber!«
    »Er ist mir nicht lieber, er …«
    »Und warum entscheidest du dich dann für ihn? Und gegen mich?« Sie zitterte in seinen Armen.
    »Ich entscheide mich nicht gegen dich!« Warum nur machte sie ihn derart wahnsinnig? Rinnsteinschnepfe! Rüschennasige, wunderschöne Rinnsteinschnepfe. »Ich will doch, dass du auch mitkommst! Ich will nicht ohne dich sein, aber für die Drachen bin ich nun mal der Einzige, der …«
    »Für mich auch!« Sie versuchte ihn von sich zu stoßen, doch er umklammerte sie fester, ließ sie nicht los. Sie keuchte vor Anstrengung. »Hörst du mir überhaupt zu? Für mich bist du auch der Einzige, du blinder, blöder Schwachkopf!«
    Schwachkopf? Wütend packte er ihren Kopf mit beiden Händen, drehte ihr Gesicht zu ihm, um ihr ganz andere Beschimpfungen entgegenzuschleudern. Was Beleidigungen betraf, da hatte er weit mehr drauf als sie! Schwachkopf war für Kleinkinder.
    Tief holte er Luft, und dann sah er in ihre zornigen, blitzenden,
verängstigten Augen und wusste nichts mehr zu sagen – jedes böse Wort war aus seinem Kopf verschwunden. Er starrte auf ihre bebenden Lippen, beugte sich vor und küsste sie, weil er nicht anders konnte. Jeden Augenblick erwartete er, dass sie ihm eine scheuerte, aber sie erwiderte den Kuss. Leidenschaftlich und ängstlich und an ihn geklammert. Der Kuss schien ewig zu dauern.
    Danach lief ihr eine Träne über die Wange.
    »Weißt du denn nicht, was sie mit uns machen, wenn sie uns erwischen?«, fragte sie leise und wischte ärgerlich die Träne fort.
    »Doch. Aber du weißt auch, was sie mit den Drachen machen, wenn wir sie nicht hindern.«
    »Ich hab trotzdem Angst. Wenn sie uns erwischen, dann …«
    »Diesmal lassen wir uns nicht erwischen«, sagte Ben so überzeugt wie möglich und drückte sie fest an sich. »Wir haben noch immer den Großen Schlüssel, mit dem wir unser Versteck uneinnehmbar machen können. Wir können fliegen! Oder uns zumindest fliegen lassen. Wenn wir uns irgendwo hoch oben in einer verlassenen Burg im Wolkengebirge verschanzen, sind wir sicher. Kein Ritter der Welt kann uns da etwas anhaben.«
    »Aber um Drachen zu befreien, müssen wir da raus«, sagte Anula.
    »Ja, das müssen wir.«
    »Welcher Schlüssel beschützt uns dann?«
    Ben sah sie an: »Ich lass nicht zu, dass sie dich erwischen.«
    Anula versuchte ein Lächeln – vergeblich. Sie beide wussten, dass niemand ein solches Versprechen geben konnte. Man konnte alles daransetzen, den anderen zu beschützen,
aber wie konnte man sicher sein, dass dies genug war? Schweigend standen sie da, die wenigen Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach fielen, glitzerten auf Anulas Haut.
    »Na gut.« Sie seufzte. »Aber sag den anderen nichts von meiner Angst.«
    »Klar.« Ben grinste. »Aber ich befürchte, sie haben uns gehört, so laut wie du geschrien hast. Zumindest, dass du mich Schwachkopf genannt

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