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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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nicht mehr.«
    »Was siehst du?«, drängte Anula. »Ist da wer?«
    Ben stand in einer Art Höhle, die ebenso gerade und gleichmäßig schien wie der Schacht über ihm. Ihr Durchmesser maß mindestens dreimal seine Körpergröße, und sie verlief in beide Richtungen leicht abschüssig unter dem Schacht hindurch. Er hielt die Fackel hoch und sah nach links und rechts. Nichts war zu erkennen außer steinernen Wänden und Dunkelheit.
    Hier lag kein Verwundeter.
    Hatte er sich etwa in eine der beiden Richtungen geschleppt? Auf der Suche nach einem anderen Ausgang? Zwar glaubte Ben nicht, dass jemand, der so tief stürzte, es überleben konnte, doch er stieg aus der Schlinge und suchte den felsigen Boden halbherzig nach Spuren ab. Abdrücke würde er hier kaum finden.

    »Hallo? Ben, verdammt!«, rief Anula. »Sprich mit uns! Was siehst du?«
    »Nichts. Ein Gang, der in zwei Richtungen führt, aber darin ist nichts. Ich …« Da fiel sein Blick auf vier dunkle Flecken, die denen oben ähnelten, nur dass sie größer waren. Er ging in die Hocke und fuhr prüfend mit dem Zeigefinger darüber. Sie waren trocken und staubbedeckt. Mit dem Nagel ließ sich eine dünne Schicht abkratzen. »Jetzt könnte ich deine feine Zunge gebrauchen, Marmaran. Ich glaube, hier ist Blut.«
    »Blut?«
    »Na ja, wieder solche Flecken, aber sonst keine Spur von einem Menschen oder Tier.« Ben starrte nach links und rechts in die Dunkelheit. »Vielleicht hat er seinen Sturz an den Wänden abbremsen können, oder er hatte auch ein Seil, das gerissen ist. Und von hier ist er dann weiter, weil er nicht wieder hoch konnte.«
    »Dann müsste das doch hier hängen.«
    »Stimmt auch wieder.«
    »Siehst du wen?«
    »Nein. Hab ich doch gesagt. Aber das Licht reicht nur ein paar Schritt weit. Seid mal ruhig.« Ben holte tief Luft, dann schrie er: »Hallo! Ist da wer?«
    In der anschließenden Stille vermeinte er ein fernes Schnaufen zu hören, so als würde jemand schwer atmen. Er konnte nur nicht sagen, woher. Es war so undeutlich und leise, vielleicht nur sein eigener Atem oder der Wind von oben.
    Nein, da war es wieder. Es schien aus der rechten Höhle zu kommen, jetzt war er sicher.
    »Hallo?« Unschlüssig machte er zwei Schritte in diese Richtung. »Alles in Ordnung?«

    Immer deutlicher konnte er das Schnauben vernehmen – bis er endlich begriff, dass es nicht lauter wurde, sondern immer näher kam. Sehr schnell, und es klang auch überhaupt nicht nach menschlichem Atmen.
    Es wurde von einem schweren Schaben begleitet. Steinchen rieselten zu Boden, und Ben vermeinte sogar eine Art Schmatzen zu vernehmen. Wurde die Dunkelheit vor ihm tatsächlich noch dunkler? Das war doch nicht möglich. Eine Welle stickigen Modergeruchs schwappte auf ihn zu.
    Mit einem Schrei stolperte Ben zurück, ließ die Fackel fallen, wirbelte herum und griff mit beiden Händen nach der Liane. Zeit, richtig in die Schlinge zu schlüpfen, blieb nicht.
    »Hoch! Zieht mich hoch!«, brüllte er, als er etwas Massiges im Schein der am Boden liegenden Fackel heranstürmen sah, etwas, das den gewaltigen Gang fast vollständig ausfüllte. Er konnte es nicht genau erkennen – es schimmerte wie Fischschuppen im Mondlicht, und doch war es tiefschwarz wie der unglückbringende Sargkäfer, der seine Eier unter Toteneichen vergrub.
    Mit einem Ruck wurde Ben nach oben gerissen. Ein schmerzhaftes Zerren durchfuhr seine Schultern, und er schrie, klammerte sich aber weiter fest. Auf keinen Fall würde er loslassen, er musste hier weg, nur weg. Mit dem Knie schlug er gegen die Wand, es schabte über den Fels, und dann packte ihn etwas am Fußgelenk, umschlang ihn wie ein klebriges Seil und riss ihn mit ungeheurer Kraft wieder in die Tiefe. Die Haut wurde von seinen Handflächen geschmirgelt, es brannte. Er konnte sich nicht mehr halten, stürzte und schlug mit aller Wucht am Boden auf.
    Dumpfer Schmerz breitete sich über den Rücken in seinem Brustkorb aus, ihm blieb die Luft weg, sodass er nur
noch hilflos japste. Ein kaltes Stechen drang in seinen Kopf, und er wurde von dem massigen Etwas mitgeschleift, bis dieses ein gutes Dutzend Schritt vom Schacht entfernt stehen blieb und sich umdrehte. Ben war benommen, er konnte nichts tun, dachte nur immer: »Nein!«, weil er wusste, er würde jetzt sterben, wenn er nicht floh. Doch er konnte sich nicht aufrappeln, sein Körper gehorchte ihm nicht mehr.
    Die Fackel lag zu weit entfernt, als dass er Genaues hätte sehen können. Langsam drehte sich

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