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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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dem Loch. Da waren Blutspuren.«
    »Aber sie waren draußen am Rand. Wenn er wirklich hineingestürzt ist, dann müssten die Flecken unten drin sein.«
    »Vielleicht ist er oben gestolpert, hat sich den Kopf geschlagen und ist dann unglücklich über die Kante gerutscht. «
    »Wir haben gerufen, und zwar laut. Da war niemand«, gab Juri zu bedenken.
    »Vielleicht ist er bewusstlos.«
    »Bewusstlos?«
    »Oder taub.«
    »Taub?«
    »Was weiß ich. Es kann hundert Gründe geben, warum er nicht gleich geantwortet hat. Und vielleicht ist es morgen zu spät? Was, wenn wir warten und er heute Nacht stirbt, ganz langsam verblutet?«

    Niemand antwortete. Yanko schnaubte, ließ die Nüsse fallen und erhob sich.
    »Also los.« Ben stapfte voran. »Wir nehmen ein paar Lianen aus den Bäumen als Seil, an denen könnt ihr mich runterlassen. Dann kann ich nachsehen, ob da wer ist, und wir müssen uns nicht auf sein Gehör verlassen.«
    Als sie das Loch schließlich erreichten, war die Nacht hereingebrochen. Sorgfältig verknotete Anula die drei Lianen, die die Drachen aus den Bäumen gepflückt hatten, und prüfte jeden Knoten dreimal.
    Aiphyron brach einen Ast auf Armlänge zurecht und schob ihn sich mit spitzen Krallen in den Rachen, drehte ihn dort hin und her. Als er ihn wieder herauszog, war die Spitze mit einer zähen Masse umwickelt. Diese setzte er dann mit einem kurzen Schnauben in Brand, sodass Ben über eine Fackel verfügte. Ihre Flamme flackerte im sanften Wind. Aiphyrons Abscheu vor Feuer war geringer geworden, seit er sich in Begleitung von Menschen befand, die täglich damit hantierten. Und vor allem, seit er Feuerschuppe damals mit seinem Feuer hatte helfen können.
    »Und wie soll er die halten, während er runterklettert?«, fragte Anula spitz. »Mit dem Mund?«
    »In der Hand.«
    »Und womit hält er sich fest? Nur mit der anderen? Oder nimmt er dazu dann die Zähne?«
    »Ganz wie er will.« Grinsend machte Aiphyron eine Schlinge ins untere Ende der Liane. »Da setzt er sich rein, und wir lassen ihn hinunter. Wir lassen den Kleinen doch nicht klettern.«
    »He! Wen nennst du klein?« Ben fuchtelte mit der Fackel
vor Aiphyron herum. »So eine Beleidigung verlangt … verlangt … Wie heißt das? Ach, du weißt schon, ein Duell eben. Jawohl!«
    »Komm wieder, wenn du groß und ein Ritter bist.«
    »Da kannst du lang warten. Ritter, pah!«
    »Kindsköpfe«, knurrte Anula, riss die Schlinge an sich und kontrollierte auch diesen Knoten, zerrte ihn noch einmal fester, obwohl dies nach dem kräftigen Griff des Drachen sicher nicht nötig war.
    Marmaran leckte noch einmal über die Flecken auf dem Boden und schmatzte wie ein reicher Händler bei der Weinprobe. »Könnte wirklich Mensch sein.«
    »Kannst du Alter und Haarfarbe auch schmecken?«, fragte Yanko. Beide lachten, Nica verdrehte die Augen.
    »Pass auf dich auf«, sagte Anula schließlich, als Ben in die Schlinge kletterte, und gab ihm einen flüchtigen Kuss.
    »Mir passiert schon nichts«, antwortete er und lächelte sie an. Er griff sich die Fackel und stieg über die felsige Kante.
    Langsam ließ Aiphyron ihn hinab, Ben setzte einen Fuß unter den anderen und hielt so Abstand zur Wand. Beinahe senkrecht bohrte sich der Schacht in die Tiefe, die Wand war erstaunlich glatt für eine natürliche Höhle. Nichts deutete darauf hin, dass sie gemauert und menschlichen Ursprungs war, aber viele Kanten schienen abgeschliffen wie die eines Steins, der lange im Fluss lag.
    Doch ein Brunnen?
    Nein, ein Brunnen war das nicht.
    Die Öffnung über ihm wurde immer kleiner, bis er sie kaum noch sah; die Nacht war beinahe ebenso dunkel wie die Tiefe. Das Licht der Fackel flackerte über den Fels, und Ben sah nicht mehr zurück. Weitere Blutflecke konnte er
nirgendwo erkennen. Einmal schimmerte etwas, das aussah wie getrockneter Schleim einer Schnecke, nur schwarz. Doch bis er »Halt« schrie, war er schon daran vorbei.
    »Was ist?«, dröhnte Aiphyrons Stimme hinab, die Liane bewegte sich nicht mehr.
    »Nichts! Weiter.«
    Die Luft wurde immer stickiger und kühler. Ben atmete den beißenden Geruch seiner Fackel ein, blickte bei jedem zweiten Schritt nach unten und sah nur Schwärze – bis sich fester Grund aus der Dunkelheit schälte. Noch ein paar Schritt, dann hatte er ihn erreicht.
    »Ich bin unten«, rief er, als er beide Füße auf dem Boden aufsetzte. Er war eben und genauso glatt wie die Wand des Schachts.
    »Gut!«, brüllte Aiphyron. »Sehr gut. Viel Seil hatten wir

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