Das Verlies der Stuerme
der Fremde aus ihren Städten stammte.
»Er ist einer von uns, ein Sohn unserer Stadt!«, verkündete der Stadtfürst von Rhaconia öffentlich und verwies auf seine vor Rührung weinende Mutter.
»Er ist einer von uns, ein Sohn unserer Stadt!«, verkündete der Stadtfürst von Venzara öffentlich und verwies auf seinen Vater, der auf seiner Vaterschaft schon seit Tagen mit stolz geschwellter Brust beharrte.
In beiden Städten jubelten die Massen ihrem abwesenden Helden zu, und beide schickten zugleich leise ihre besten
Steuereintreiber mit großen leeren Kisten und bewaffneten Gehilfen auf die Insel. Gleichzeitig legten sie an und eilten in die Festung, wo der erstaunte Ailon sie empfing.
»Der Fürst sendet dir Grüße und nennt dich einen Helden unserer Stadt«, sagten die einen.
»Auch einen Helden der unsrigen«, ergänzten die anderen. »Doch auch Helden zahlen Steuern.«
»Die Hälfte deines Vermögens gehört der Gemeinschaft«, erklärte ein Steuereintreiber aus Venzara dem verdutzten Ailon mit herzloser Freundlichkeit. »Und da deine Taten beweisen, wie sehr dir die Gemeinschaft am Herzen liegt, wissen wir, dass du dich gern am Glück aller beteiligst und dich diesem nicht widersetzt.«
»Auch deine andere Gemeinschaft erwartet die Hälfte«, sagte der Steuereintreiber aus Rhaconia und deutete erfreut auf die beiden Haufen, die Ailon in den letzten Wochen für seinen Vater und seine Mutter sortiert hatte. »Vielen Dank für deine hilfreiche Zuarbeit. Du bist ein wahrer Held.«
In Windeseile trug jede Stadt einen der beiden Schatzhaufen davon.
Zähneknirschend und von den bewaffneten Gehilfen flankiert musste Ailon ihnen zusehen. Doch als die beiden beladenen Schiffe die Insel verlassen hatten, kochten die alten Rachegedanken wieder hoch, und er öffnete sechs seiner Beutel. Wilde Stürme fegten über das Meer und versenkten die Schiffe mit Mann und Maus und Gold.
Die anderen sechs Beutel vergrub er auf der Insel und befahl ihnen, immer dann zu stürmen, wenn sich ein Schiff der Insel näherte oder jemand versuchte, die gesunkenen Schätze zu heben. Auch ohne Trolle sollten die beiden Städte die Insel und das Meer vor ihren Häfen fürchten müssen.
Nachdem sieben Schiffe von plötzlichen Winden zerschmettert und versenkt worden waren, näherte sich nie wieder eines der Insel. Die Schätze ruhen noch immer auf dem Grund des Meeres.
Die alte Festung der Seetrolle wurde fortan nur noch das Verlies der Stürme genannt. Manchmal heißt es, der Geist von Ailon gehe dort noch um, denn ohne Schiff habe er die Insel selbst nicht mehr verlassen können und sei dort einsam gestorben. Seine wütenden Flüche gegen Rhaconia und Venzara seien noch immer in den Stürmen zu vernehmen.
Doch die meisten glauben, der heldenhafte Beutelnäher habe die Insel schwimmend verlassen und seine Eltern mit in ein fernes Land genommen, wo er mit seiner Gabe zu hohem Ansehen gekommen sei und sie alle noch ein langes, glückliches und erfülltes Leben führten.
Als der Händler geendet hatte, senkte sich Stille über die kleine Gruppe. Inzwischen war es vollkommen dunkel, nur ein kleines Lagerfeuer spendete Licht, das Aiphyron nebenbei und ohne großes Murren entzündet hatte.
»Und Yanko behauptet immer, ich rede viel«, brummte Juri schließlich.
»Und wer sagt, dass diese Geschichte wahr ist?«, fragte Anula.
»Beweisen kann sie natürlich niemand, dafür ist das alles zu lange her. Doch ich weiß, dass seit Jahren kein Händler aus Rhaconia es gewagt hat, auch nur in die Nähe der Insel zu kommen. Alle haben einen gewaltigen Bogen außen herum gemacht, nur eben ich nicht.« Finta stieß ein kurzes, bitteres Lachen aus. »Aber das war nicht freiwillig. Viel zu
spät habe ich bemerkt, dass mein Steuermann mal wieder vollkommen betrunken war, dicht wie eine torkelnde Miesquappe, die man in einem Teich aus purem Rum ausgesetzt hat. Als ich aus der Kajüte gestürmt bin und das Ruder selbst herumreißen wollte, war es zu spät.«
Für einen langen Moment sagte keiner ein Wort. Sie starrten in die Flamme, und Ben lag ein ausgedehnter Fluch auf den Lippen, der sein Mitleid bekunden sollte, aber er sprach ihn nicht aus. Stattdessen beobachtete er zwei Funken, die langsam höher und höher stiegen und sich dabei taumelnd umkreisten.
»Tut mir leid«, murmelte Anula schließlich, ließ aber das Verlies der Stürme noch immer nicht aus den Augen.
Finta winkte ab und räusperte sich. »Danke, aber … Verdammt, ja, danke,
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