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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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marschierten, eine gleicher als die andere, und immer gab der Junge vorne rechts den Ton an. Ben verstand nicht, warum sie nicht in ihrem Kloster übten, aber das konnte ihm auch egal sein.
    Als er auf seinem Weg durch die Stadt zum zweiten Mal eine Straße überquerte, in der sich eine große Handelsniederlassung an die nächste reihte, begegnete er einer hochgewachsenen Frau mit aufwändig hochgestecktem Haar, großer, leicht gebogener Nase und hochgerecktem Kinn. Ihr gelbes, spitzenverziertes Kleid leuchtete weithin und mit den großen blutroten Rubinen ihrer Kette und Ohrringe um die Wette. Ihr folgten vier schwer bepackte Diener in mattgelben Livrees. In der Linken hielt sie einen Schirm, der über der kostbaren Seidenbespannung noch ein zweites, kleines Dach aus scheinbar purem Blattgold besaß. Das war vollkommen sinnlos, half aber wohl beim Protzen.

    Auf dem rechten Arm trug sie einen etwa katzengroßen, flügellosen Drachen, dessen Schuppen ebenfalls gelb und dessen Bauch rundlich war. Der Drache steckte in einer maßgeschneiderten roten Uniform mit goldenen Knöpfen, auf dem breiten Kopf trug er einen kleinen, ebenfalls goldenen Helm.
    Ben klappte das Kinn nach unten.
    »Na, du kleiner Racker«, sagte die Frau und tätschelte dem Drachen den Helm.
    Der Drache schnurrte.
    »Hat mein kleiner Held etwa Hunger?«, gurrte die Frau. Schon war ein Diener heran und reichte ihr einen Streifen getrocknetes Fleisch. Ohne ihn anzusehen, nahm sie es mit zwei spitzen Fingern und hielt es dem Drachen vor das Maul. Der schnappte zu.
    »Feiner Held, ja so ein feiner Held«, flötete die Frau, packte den Drachen unter dem Doppelkinn und schüttelte den Kopf hin und her, während dieser noch zu kauen versuchte.
    Kotz ihr aufs Kleid, Kleiner, dachte Ben. Komm, mach schon. Dann setzte er ein falsches Lächeln auf und trat der Frau entgegen. »Ach, das ist ja ein ganz liebreizender Drache. Allerliebst.«
    Sofort standen zwei Diener an ihrer Seite und starrten Ben finster an, so drohend, als hätten sie Schwerter statt Kistchen und Koffer in den Händen. Misstrauisch musterte auch die Frau Ben.
    »Verzeihung, ich wollte nicht unhöflich …«, stammelte er. »Ich bin Citho, ein Gast von Herrn Dogha. Der Sohn eines Geschäftsfreundes.«
    »Oh«, sagte die Frau und lächelte. »Wie dumm von meinen Dienern, du trägst ja seine Farben.«

    Die Diener traten zurück, starrten ihn aber weiter finster an.
    »Könnte ich ihn mal, äh, streicheln?«, fragte Ben.
    »Aber natürlich.« Die Frau lächelte. »Das ist Held. Held, das ist der freundliche Citho. Citho gibt dir jetzt auch ein Happi-Happi.«
    Ehe sich Ben versah, hatte ihm der Diener einen Streifen getrocknetes Fleisch in die Hand gedrückt. Vorsichtig hielt er es dem Drachen mit der Linken hin, während er mit der Rechten über seinen Rücken strich und knapp hinter dem Hals verharrte. Selbst durch den Stoff hindurch konnte er die Schulterknubbel spüren, kaum größer als sein Daumennagel. Er sandte seine Heilkräfte aus und spürte ein leichtes Pulsieren. Der Drache hörte auf zu kauen und schnurrte glücklich.
    »Ach«, jauchzte die Frau. »Er mag dich. Sonst ist er so scheu gegenüber Fremden.«
    »Ähm, ja, ich mag ihn auch.«
    »Du musst uns unbedingt besuchen kommen, hörst du? Unbedingt. Ich bin Frau Xabon, und wir sind beinahe Nachbarn von Herrn Dogha.«
    »Ich komme gern«, versicherte Ben. Und dann klau ich dir deinen kleinen Drachen, du widerliche Schabracke.
    »Oh, wir freuen uns.« Lächelnd packte sie das rechte Vorderbein des Drachen und winkte damit Ben zum Abschied. »Bis dann.«
    Auch Ben winkte, jedoch mit seiner eigenen Hand.
    Die Diener starrten ihn weiterhin grimmig an. Langsam drehte sich Ben um und ging in Richtung Hafen; auf keinen Fall wollte er einer weiteren verrückten Händlersgattin begegnen.
    Erfreut stellte er fest, dass der Hafen bei Tag viel freundlicher
war. Zwar wurden auch jetzt reichlich Beschimpfungen geknurrt, jedoch vornehmlich von Arbeitern, die schwer zu schleppen hatten und mehr Unterstützung von ihren Kameraden erwarteten. Es wurde geflucht, gelacht und getrunken, aber Messer wurden keine gezogen. Überall wimmelte es von Seeleuten mit den unterschiedlichsten Dialekten und Akzenten. Wer gerade nicht arbeitete, würfelte oder trank.
    Ben lief eine Mole aus roten Granitquadern entlang, die sich weit hinaus ins Meer erstreckte, um die heranrollenden Wellen zu brechen und dem Hafen Schutz zu geben. Es war eine ausgesprochen lange und

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