Das Verlies der Stuerme
Niederlassung nach Aphrasehr, und er ist schon nächste Woche fort.«
»O nein.«
»Wir werden sehen.« Finta sah Ben an. »Wer weiß schon, welche Verpflichtungen unser Gast hat, auch gegenüber den Lieben in der Ferne.«
Und so aßen und tranken sie weiter, lachten und sangen ein schlecht gereimtes Hohelied auf alle hilfreichen Planken der Welt und vergaßen auf Fintas Befehl hin den Verlust der beiden Schiffe und aller Waren.
Erst weit nach Mitternacht wurde Ben in ein geräumiges Zimmer im Gästeflügel geführt, in dem ein weiches Bett auf ihn wartete, das nach Frühlingsblumen duftete. Er zog sich aus und wickelte sich in die ebenso weiche wie wohlriechende Decke. An ein solches Leben könnte er sich wirklich gewöhnen.
Beim Einschlafen dachte er an Anula, doch immer wieder tauchte kurz Mircahs Gesicht vor ihm auf. Und Fintas strenger Blick, der besagte: »Lass die Finger von meiner Tochter. Lebensretter hin oder her, das geht zu weit!«
»Pah. Sie hat mich auf die Wange geküsst, nicht ich sie«, murmelte Ben und dämmerte weg.
PLÄNE
W illst du wirklich nicht bleiben?«, fragte Frau Dogha, als Ben nach einem ausgedehnten Frühstück aufbrach. Sie hatte ihm neue Kleidung herausgelegt, Hemd und Hose in strahlendem Blau und Rot und aus einem weichen, fließenden Stoff, den er nicht kannte. Angemessene Kleidung für einen Händlersohn in den Farben der Familie Dogha. Nun dürfte ihn niemand mehr mit dem Lumpen mit bunt geflickter Hose auf den Steckbriefen in Verbindung bringen.
»Ich kann leider nicht«, sagte Ben und rieb sich den Kopf, der vom schweren Rotwein brummte. Er war das Trinken nicht gewohnt. »Verpflichtungen, die mein, ähm, Vater mir aufgetragen hat.«
»Das verstehen wir natürlich. Aber du bist uns jederzeit willkommen«, sagte Finta und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Wenn du Hilfe brauchen solltest, bei was auch immer, wir sind für dich da.«
»Danke.«
»Vergiss es nicht. Und komm wieder«, sagte Frau Dogha, und Mircah nickte und sah ihn traurig und zugleich hoffnungsvoll an. Für sie war er ein Held.
»Auf jeden Fall«, versprach Ben und warf sich den großen Hängebeutel mit dem Proviant über, den Finta ihm in der Küche hatte herrichten lassen. Frau Dogha hatte ihm noch eine zweite Hose und ein Hemd dazugepackt, damit er im Notfall etwas zum Wechseln hatte. Schließlich müsse man
bei geschäftlichen Besprechungen einen guten ersten Eindruck hinterlassen, und das klappte mit Flecken nicht. Lächelnd drehte er sich um und schlenderte mit heroisch breiten Schritten zum Tor hinaus. Auf der Straße hielt er sich rechts, doch schon an der ersten Kreuzung wusste er nicht, woher sie am Vorabend gekommen waren. Tagsüber sah alles anders aus.
Die Wächter an den Eingängen der Prachtbauten blickten nicht mehr auf ihn herab wie sonst, was sicherlich der Verdienst des neuen Hemds war.
Schon erstaunlich, was so ein Stück Stoff alles bewirken konnte. Doch bei der Orientierung half es nicht weiter, und Ben wollte den neu gewonnenen Respekt nicht gleich wieder durch dumme Fragen verlieren.
»Geradeaus«, sagte da eine Stimme hinter ihm, und Ben drehte sich um.
»Nesto! Wohin bist du gestern verschwunden?«
»Ins Dienstbotenhaus. Diener speisen nicht mit den händlerischen Herrschaften, und Schiffsjungen schon gar nicht.« So wie er es sagte, klang es nicht sonderlich bedauernd. »Ich wollte mich nur noch schnell verabschieden.«
»Willst du nicht mitkommen? Ich könnte einen ortskundigen Begleiter gebrauchen.«
»Ja, würde ich gern. Aber die Arbeit wartet.«
»Na, dann …«, antwortete Ben gedehnt und unterdrückte alle Überredungsversuche. Wahrscheinlich war es besser, sich allein umzusehen, bevor Nesto doch noch mitbekam, was sie genau vorhatten. »Dann also bis bald.«
»In Ordnung. Bis bald.« Nesto drehte sich um und rannte zurück.
Ben ging geradeaus weiter. Ohne Eile folgte er mal dieser,
mal jener Straße. Er hatte Zeit, und zum Hafentor würde er sich später durchfragen können. Vor der Dunkelheit konnte Aiphyron sowieso nicht ungesehen losfliegen. Jetzt galt es erst einmal, sich einen Überblick zu verschaffen. Schließlich wusste nicht nur Nesto nicht, was sie vorhatten, sondern genau genommen auch sie selbst nicht. Natürlich wollten sie Drachen befreien, so weit war es klar, und darüber hinaus dem Großtirdischen Reich die Wahrheit bringen, doch selbst ein so angesehener Händler wie Finta Dogha scheute sich, diese auszusprechen, und fürchtete das
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