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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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Gefängnis. Wie also sollten sie vorgehen, um sie zu verbreiten?
    Ben sah in die Gesichter um ihn herum, ernste Diener und schwitzende Boten, plaudernde Mägde und trödelnde Handwerksgesellen. Ihre Blicke streiften ihn nur flüchtig, als wollten sie ihn nicht herausfordern. Doch wer von ihnen würde ihm glauben, wenn er die Wahrheit verriet?
    Keiner.
    Alle würden sie nicken, weil er wohlhabend aussah, wie der Sohn eines Mannes, dem man nicht widersprach. Doch überzeugen würde er nicht einen einzigen. Und manche würden ihn wohl sogar verpfeifen.
    Nein, Worte allein halfen nicht – sie mussten ihnen zeigen, wie freundlich Drachen sein konnten. Aiphyron, Juri, Feuerschuppe und Marmaran mussten das tun. Aber nicht hier, nicht in einer Stadt voller Ordensritter. Die würden den Drachen die Flügel abschlagen, noch bevor sie zwei Sätze herausgebracht hatten.
    Über diese Gedanken hatte Ben einen großen Platz erreicht, dessen gesamter Boden aus dem kleinteiligen Mosaik einer vielstrahligen Sonne bestand. Die glatt geschliffenen, handtellergroßen Platten in den unterschiedlichsten
Schattierungen von Gelb und Rot und Blau strahlten hell im Tageslicht. Im Zentrum der Sonne erhob sich ein weißer Tempel mit den höchsten Säulen, die Ben je gesehen hatte. Strahlend kündeten sie von Hellwahs Größe und der Macht seiner Priester. Gegen seinen Willen war Ben beeindruckt, verharrte einen Moment lang und blickte hinüber zum offenen Portal, wo zahlreiche Männer und Frauen ein und aus gingen, darunter auch Seeleute aus fernen Landen.
    Langsam schlenderte Ben hinüber.
    Neben dem Eingang stand eine Art hölzerne Wand von drei Schritt Breite. An ihr waren verschiedene Pergamente befestigt, überwiegend Steckbriefe. Beinahe sofort bemerkte er den ihm wohlbekannten, der tausend Gulden für die Ergreifung von Ben, Yanko und Nica versprach, und Bens Magen zog sich zusammen.
    Der Steckbrief war alt und vom Wetter angegriffen, eine Ecke abgerissen, doch Ben erinnerte sich gut an die Angst, die er damals auf der Flucht vor dem Orden empfunden hatte. Noch immer steckte sie in ihm, drohte wieder hochzukochen, aber nun war seine Wut größer, sein Wille, etwas zu ändern. Er würde nicht erkannt werden, nicht in seinem neuen Hemd, nicht mit den kurzen Haaren, nicht allein. Die unbeholfene Zeichnung besaß mehr denn je keinerlei Ähnlichkeit mit ihm.
    Tief atmete er durch, bezwang die Angst und schielte nach links und rechts. Tatsächlich beachtete ihn niemand, niemand schien überhaupt die Aushänge zu beachten, als wären sie zu veraltet oder zu vertraut. Es gab keinen Grund zur Besorgnis. Die meisten Steckbriefe boten Geld für die Ergreifung eines Ketzers, manche für die eines Mörders oder Landesverräters. Für die wenigsten gab es eine höhere Summe
als für Ben, Yanko und Nica. Dann stockte Ben. Ganz am Rand, halb zugehängt von der Ankündigung eines großen Viehmarkts in der nächsten Woche, entdeckte er den Steckbrief, den er gefürchtet hatte.
    KETZERIN GESUCHT
    Lebend
100 Gulden Belohnung
    Anula Sequo – klein, zierlich, achtzehn Jahre alt, schwarzes Haar und eine Haut, die unnatürlich wie Eis schimmert.
    Sie ist des Verrats am Großtirdischen Reich und der Ausübung ketzerischer Handlungen überführt. Vermutlich eine Verbündete der vogelfreien Ketzer Ben, Yanko Quepahni und Nica Yirkhenbarg. Flüchtig! Wurde zuletzt gesehen im Kloster mit den zwölf Zinnoberzinnen.
    Auch auf der zum Glück nur mäßig gelungenen Porträtskizze war Anulas Schönheit zu erkennen; und ihre Haut würde sie überall verraten. Ben spürte einen Stich. Er hatte gewusst, dass sie gesucht wurde, doch es zu sehen, war noch etwas anderes.
    Unvermittelt packte ihn die Angst um sie, doch noch stärker spürte er den Zorn auf den Orden in sich. Was bildete
sich dieser selbstgefällige Haufen eigentlich ein? Immer wenn ihm jemand nicht passte, bot er einen Batzen Gulden in der Hoffnung, irgendwer würde sich schon kümmern. Unmengen von Gulden aus den unermesslichen Schatzkammern, die alle menschlichen Ärgernisse beseitigen sollten. Was für feige Moorwürmer! Und das schimpfte sich Ritter?
    Ben spuckte aus und wünschte, die verdammten Ritter sollten die Angst der Gejagten wenigstens einmal am eigenen Leib erfahren. Einmal nachts bei jedem Geräusch aufschrecken aus Furcht, aufgestöbert worden zu sein. Einmal spüren, wie es war, wenn man von allen gejagt wurde und niemandem vertrauen konnte. Und das zu Unrecht. Aber wer besaß schon genug

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