Das Verlies der Stuerme
in Rhaconia das Lied umgedichtet hatte. Seinen Namen hatte er vergessen, irgendwas mit A.
Außerdem sah Ben zwei Ritter, die in ein ernstes Gespräch vertieft schienen, und weiter hinten drei lachende Jungfrauen. Dazwischen tappte eine Handvoll gackernder Hühner umher. Irgendwo fauchten Drachen und wieherten Pferde, eine Ziege meckerte.
»Und?«, hakte der erste Wachposten nach. »Hast du nun ein Anliegen?«
»Außer meiner Neugier?«, rutschte es ihm heraus, bevor ihm klar war, dass die beiden eben bestimmt auf jede Lüge hereingefallen wären, obwohl er ihnen bereits die Geschichte
vom neugierigen Gast im Großtirdischen Reich aufgetischt hatte.
»Ja.«
»Ähm, später vielleicht«, sagte Ben und biss sich auf die Lippe.
»Dann komm später wieder«, sagte der zweite Torwächter mit heiligem Ernst.
Langsam schlenderte Ben davon. Er bezweifelte, dass die beiden ihn wiedererkennen würden, wenn er am nächsten Tag mit einer ganz anderen Geschichte vorsprach. Gut. Die Klostermauern waren hoch und dick, die Tore massiv, aber die Wächter anscheinend nicht sonderlich klug. Er hatte den Schwachpunkt des Klosters gefunden.
Grübelnd ging er weiter. Es musste doch eine Möglichkeit geben, dort hineinzugelangen. Noch wusste er nicht, was genau er dort drinnen wollte, aber es gab sicher eine Fülle an Möglichkeiten, Schaden anzurichten oder Steckbriefe aufzuhängen. Und natürlich zahllose Drachen zu befreien.
Vielleicht sollte er sich als Knappe bewerben? Oder doch eher Yanko?
Nein, als Drachenflüsterer könnte er leichter das Vertrauen der Drachen gewinnen. Er musste es selbst tun.
In Gedanken versunken umrundete er langsam die Stadt und blickte sich immer wieder zum Kloster um. Auch aus der Ferne sah es uneinnehmbar aus. Die Stallungen waren bestimmt groß genug für vier Dutzend Drachen. Oder noch mehr. Trotz der dämlichen Torwächter würden sie einen guten Plan brauchen.
Etwa eine Stunde lang wartete Ben im Dunkeln und warf gelangweilt Steine ins Meer, bis Aiphyron in der Bucht auftauchte.
»Schön, dich zu sehen«, sagte der Drache und ließ ihn aufsteigen. »Ist alles gut gegangen in der Stadt?«
»Alles bestens. Es gibt zwar haufenweise Bekloppte in Rhaconia, aber Finta und Nesto sind echt unsere Verbündeten. Sie helfen, wo es nur geht.«
»Klingt gut. Wir werden immer mehr gegen den Orden.« Aiphyron erhob sich in die Luft.
»Ja.«
»Wir haben auch eine Verbündete gewonnen.«
»Was?« Fast wäre Ben vom Drachen gefallen. »Wen denn?«
»Erinnerst du dich an Vilette, die nicht mehr ganz jungfräuliche Tochter des alten Fischers?«
Er nickte.
»Die ist in der Nacht nach unserem Besuch von daheim abgehauen. Und inzwischen bei uns auf der Insel.«
»Auf unserer Insel? Was? Aber wieso denn?« Ben spürte einen Stich, er fühlte sich verraten. Wie hatten sie nur hinter seinem Rücken beschließen können, jemanden aufzunehmen? Sogar Finta und Nesto hatten sie zurück an Land gebracht. Das Verlies der Stürme sollte ihr geheimes Versteck sein.
Geheim!
»Wir haben beschlossen, ihr zu helfen, als wir sie im nächsten Dorf gefunden haben. Ihr Vater hatte sie fürchterlich verdroschen und sie in diesem Dorf Unterschlupf gesucht. Als wir auf dem Marktplatz landeten, hat sie der Menge hoch und heilig versichert, dass wir nur reden wollten. Wir würden zwar ketzerischen Unsinn von uns geben, aber wirklich
nur reden. Daraufhin haben die Dörfler beschlossen, sie totzuschlagen, weil sie eine Samothanbeterin sein müsse, und wohl auch, weil sie, ein Mädchen, ohne Blausilberwaffen leichter zu töten war als wir Drachen. Also haben wir sie der aufgebrachten Menge entrissen und mitgenommen.«
»Aber mit auf die Insel?«
»Was hätten wir sonst tun sollen? Sie zu ihrem Vater zurückbringen, damit er sie noch mal verprügelt? Oder sie irgendwo aussetzen?«
»Nein«, brummte Ben. »Und wie ist sie so?«
Aiphyron schnaubte belustigt. »Auch wenn sie uns sonst aus dem Weg geht, hat sie inzwischen jedem Drachen doch mindestens zwei Dutzend mal ihr blaues Auge gezeigt und versichert, das habe sie von ihrem Vater, weil sie keine Jungfrau mehr sei. Keine Jungfrau sei sie mehr. Das hat sie mehrmals betont. Anscheinend traut sie dem Frieden noch nicht so ganz.«
Ben lachte. Was sollte es, er hatte Nesto ja auch die Geschichte mit der Schmiede anvertraut, ohne die anderen zu fragen. Wenn man getrennt war, musste man eben manchmal allein Entscheidungen treffen. Und die anderen mussten das dann akzeptieren.
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