Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
Vom Netzwerk:
erhob sich langsam, tat einen kleinen Schritt auf ihn zu. »Und wenn du ihn nicht erwiderst, schrei ich das ganze Haus zusammen.«

    »Aber …« Entsetzt starrte Ben sie an. Sie hatte wunderschöne Lippen, und dennoch … »Dein Vater, er wird …«
    »Wenn mein Vater uns erwischt, kriegst du mehr Ärger als ich. Viel mehr Ärger.« Sie kam einen weiteren Schritt näher, lächelte.
    »Aber warum solltest du das tun?«, fragte Ben und wich verdattert zurück.
    Plötzlich blieb sie stehen und lachte laut. »Du solltest dein Gesicht sehen.«
    »Was?«
    »Als wollte ich dich auffressen. Dabei mach ich doch nur Spaß.«
    »Spaß?«
    Jetzt lächelte sie schelmisch. »Ich wollte einfach rausfinden, was du tust. Du würdest mich wirklich nicht küssen, oder?«
    Ben zuckte mit den Schultern, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Wieso war das alles Spaß?
    »Findest du mich so hässlich?«, fragte sie, und ihr Gesicht bekam etwas Lauerndes. Oder bildete sich Ben das nur ein? Er war zu durcheinander, um klar zu denken.
    »Nein, also doch, aber dein Vater … und … also …«, stammelte er. Wie auch immer ihr Ausdruck zu deuten war, auf keinen Fall wollte er Mircah vor den Kopf stoßen. Auch wenn das alles nur ein Spiel von ihr war, selbst da wollte sie nicht zurückgestoßen oder hässlich genannt werden, bestimmt nicht. Jetzt Anula zu erwähnen und als Grund für seine Zurückhaltung anzuführen, würde wie eine Ausrede, eine spontane Erfindung wirken. Ihm musste etwas anderes einfallen, auf keinen Fall durfte er die Frage im Raum stehen
lassen, ob sie hässlich war. Das würde sie ihm nie verzeihen. »Also, nein, du bist wunderschön, aber Gastfreundschaft ist uns heilig. Ganz furchtbar heilig. Wenn ich die missbrauche, dann muss ich tausend Schritt über glühende Kohlen pilgern. Barfuß. Auf einen steilen pyramidenförmigen Vulkan hinauf, der sich in meiner Heimat gleich vor der Stadt erhebt. Und alle alten verbitterten Frauen dürfen Glasscherben und rostige Nägel auf die Kohlen werfen, und die glühen dann auch und brennen sich in meine Fußsohle, und es gab mal einen Mann, der hat die Gastfreundschaft siebenhundert Mal oder noch öfter gebrochen, und der musste den Vulkan so oft hinauflaufen, bis seine ganzen Füße und die Unterschenkel weggeschmolzen waren und er schließlich auf Knien kriechen musste und fortan immer für ein Kind gehalten wurde, weil er so klein war.«
    Mircah kicherte. »Das ist doch albern.«
    »Nein, ehrlich.« Ben sah sie flehend an. Sie musste ihm einfach glauben. »Ehrlich?«
    »Ja.«
    »Ihr habt seltsame Bräuche in eurem Land.« Sie schüttelte den Kopf. »Und du würdest tatsächlich pilgern, auch wenn dich niemand erwischt? Wie sollen die Richter deiner Heimat je davon erfahren?«
    »Die Götter sehen alles«, sagte Ben hastig, weil man sich hinter Göttern immer gut verstecken konnte.
    »Äh, ja.« Sie schlug die Augen nieder, als fühle sie sich ertappt, und seufzte. »Weißt du, ich wollte einfach noch etwas erleben, bevor ich heirate. Wenigstens ein verbotenes Gespräch führen, irgendetwas tun, das sich nicht schickt. Ohne an gesellschaftliche Regeln oder göttliche Gebote zu denken. Und wenn du mich geküsst hättest, dann … Ich weiß
auch nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, mir rennt die Zeit vor meiner Hochzeit davon, und ich hab sie nie richtig genossen.«
    »Du heiratest? Schon bald?«
    »Natürlich! Ich bin letzten Monat siebzehn geworden, erwachsen. Jetzt stehen die Bewerber mit ihren Angeboten Schlange, und irgendwann demnächst wird sich mein Vater entscheiden.«
    »Angebote?«, fragte Ben irritiert.
    »Selbstverständlich.« Beleidigt sah sie ihn an. »Oder meinst du etwa, ich sei nichts wert und niemand würde für mich bieten? Die einzige Tochter des Hauses Dogha?«
    »Äh, doch, aber …«
    »Und nachdem die Schiffe jetzt versunken sind, drängt die Zeit ein wenig. Lange kann Vater es nicht mehr hinauszögern. «
    Wollte sie damit sagen, dass Finta sie verkaufte? An den Bewerber mit dem höchsten Gebot? Sie, sein Goldstück? Das passte doch gar nicht zu ihm. Oder war das in Rhaconia üblich? Waren Eheschließungen in der Handelsstadt nichts anderes als ein Geschäft? Fast hätte er Mircah nun aus Mitleid doch geküsst, nur ganz kurz und auf die geschlossenen Lippen, um ihr das Verbotene zu schenken, das sie sich wünschte. Er konnte sie gut verstehen. Aber dann dachte er an Anula und was sie von seinem Mitleid halten

Weitere Kostenlose Bücher