Das Verlies der Stuerme
Erinnerung keinen besseren Ort.
»Wo noch?«, raunte Ben, als die beiden hingen.
Mit einem Nicken deutete Marmaran zu einem Gebäude, das offiziell aussah, vielleicht ein Rathaus. Ben schlich mit einer Bekanntmachung hinüber und schlug die vier Nägel mit einem stoffumwickelten Stein ein, damit das Hämmern gedämpft wurde.
»Darf ich die Drachen streicheln?«, fragte da plötzlich eine dünne Stimme hinter ihm.
Ben wirbelte herum und bemerkte einen blonden Jungen mit großen dunklen Augen, der ihm höchstens bis zum Bauch ging.
»Was?«, zischte er.
»Darf ich die Drachen streicheln?«, flüsterte der Junge.
»Warum bist du nicht im Bett?«, fragte Ben.
»Ich kann nicht schlafen. Darf ich die Drachen streicheln?«
»Willst du später mal Ritter werden?«
»Nein. Darf ich die Drachen streicheln?«
»Das müssen wir die Drachen schon selbst fragen. Aber ich glaube schon. Komm mit.«
»Ich bin schon groß«, sagte der Junge und griff dennoch nach Bens ausgestreckter Hand. »Mein Bruder ist viel kleiner. «
»So so«, sagte Ben und nahm ihn mit zur Halle.
»Darf ich dich streicheln, Drache?«, fragte er, als sie bei Marmaran angekommen waren.
»Klar«, antwortete er.
»Danke.« Ungeschickt patschte der Junge dem Drachen mit der flachen Hand auf der Schnauze herum.
»Hast du keine Angst vor den Drachen?«, fragte Ben.
»Warum?«
»Äh, weil …«
Der Junge deutete auf Anula. »Die Frau mit der glitzernden Haut hat das letzte Mal doch gesagt, dass die Drachen lieb sind.«
»Das stimmt, da hat sie recht. Meinst du, dein Bruder hat Angst?«
»Mein Bruder hat vor allem Angst.«
»Und deine Mutter?«
»Meine Mutter auch.«
»Und dein Vater?«
»Der nicht.« Der Junge löste sich von Marmaran und lief zu Aiphyron hinüber. »Darf ich dich auch streicheln?«
Aiphyron nickte.
»Auf jeden Fall«, knurrte Marmaran. »Streichel ihn genauso fest wie mich auch.«
Und der Junge begann, auf Aiphyrons Nüstern zu patschen. »Mein Papa ist tot.«
Ben wusste nicht, was er sagen sollte, und schwieg, bis der Junge genug von der Streichelei hatte.
»Danke«, sagte er artig. »Ich geh jetzt lieber wieder ins Bett.«
»Mach das. Und sag allen, dass die Drachen lieb sind.«
»Ja.« Der Junge wetzte um die Ecke und verschwand im Dunkel der Nacht. Ben und Anula stiegen auf die Drachen und flogen heim.
Sie schliefen bis Mittag und schnitten dann die Pergamente klein, sodass Stücke von der Größe einer Männerhand übrig blieben. Darauf schrieben sie, dass der Orden log und Drachenflügel nicht verflucht waren, dass das Verstümmeln
von Drachen grausam sei, Fliegen aber wunderschön und keine Gotteslästerei. Als sie einen dicken Stapel beisammenhatten, setzten sie sich zwischen die Zinnen der Brustwehr hoch oben auf ihrem Turm und ließen die Beine baumeln. Die Sonne schien warm und die Sicht war so klar, dass sie am Horizont die Küstenlinie erkennen konnten. Eine Möwe flog schreiend über sie hinweg.
»Glaubst du, dass Yanko wirklich wiederkommt?«, fragte Ben.
»Er hat es versprochen«, sagte Anula. »Und er ist dein Freund.«
»Aber wenn sein Vater tot ist und seine Mutter ihn bittet zu bleiben, lässt er sie dann allein?«
»So was darfst du nicht denken«, fuhr Anula auf. »Damit beschwörst du nur ein Unglück herauf!«
Schnell spuckte Ben dreimal über seine rechte Schulter, um es ungesagt zu machen. Auf keinen Fall wünschte er Yankos Vater den Tod.
»Yanko und Nica haben sich ihren Turm so sorgfältig herausgesucht, die kommen wieder. Du hättest sehen sollen, wie stolz uns Yanko da herumgeführt hat, als du weg warst. Wer gibt schon eine Burg auf, um wieder ein kleines Zimmer bei seinen Eltern zu bewohnen?« Anula zwinkerte ihm zu. »Und vergiss nicht, Nica will auf keinen Fall in Trollfurt bleiben.«
Das leuchtete Ben ein. Auch die Drachen wollten nicht dortbleiben, und Yanko würde sie nicht alle für seine Eltern verlassen. Erleichtert atmete er auf. »Hat ihr Turm eigentlich ein Verlies?«
»Nein. Ich glaube, den Traum hat Yanko endgültig aufgegeben. «
»Schade, dass er in dem Fall nicht recht hatte.«
»Schade, ja.« Anula lachte. »Was würdest du mit deinem Anteil an einem Schatz eigentlich machen? So oft wie ihr Jungs darüber redet, musst du tausend Pläne haben.«
»Na ja, es geht vor allem darum, einen zu finden, ihn zu bergen.« Ben zuckte mit den Schultern. »Der Schmuck wäre natürlich für dich. Vom Rest könnten wir vielleicht Finta helfen, seine Schulden zu bezahlen.
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