Das Verlies der Stuerme
eine Zeit lang unbehelligt blieben, sicher waren sie nur auf ihrer Insel. Keinen Moment wollte die Anspannung von Ben weichen, immer wieder schielte er besorgt zu Anula, doch die Leute waren fast freundlich zu ihnen. Ein Bauer, der eine neue Scheune errichten wollte, ließ sich von den beiden Drachen die schweren Stämme gefällter Bäume aus dem Wald holen. Zum Dank wollte er ihnen eine Flache Branntwein schenken, doch Ben winkte ab – sie hätten es gern getan, und er solle damit am Abend lieber auf ihr Wohl trinken. Der Bauer versprach es, und seine Nachbarn sagten, sie würden ihm dabei helfen, auch wenn sie ganz bestimmt noch immer an Samoths Fluch glaubten.
Schließlich erreichten sie am frühen Abend einen kleinen Weiler etwa drei Meilen von der Küste entfernt. Er bestand nur aus vier Höfen, und sie waren dort bislang nur nachts gewesen, um eine Bekanntmachung aufzuhängen. Erfreut stellte Ben fest, dass sie noch hing; vielleicht wurden sie auch hier nicht gleich mit Steinen empfangen.
Als sie landeten, trat ein drahtiger alter Mann mit schütterem grauem Haar aus dem ersten Hof, und bevor Ben oder Anula auch nur einen Gruß herausgebracht hatten, sagte er: »Gut, dass ihr kommt. Der Pflug steht gleich hinter dem Haus.«
»Was?« Verwirrt starrte Ben ihn an.
»Seid ihr nicht zum Helfen hier?« Die Stimme des Alten klang, als sei er keinen Widerspruch gewohnt.
»Äh, doch, aber …?«
»Dann kommt mit.« Er führte sie zu dem Feld, das sich gleich an das Grundstück anschloss, und deutete auf den
Pflug, der dort bereitstand. »Ich habe gehört, ihr seid recht schnell. Kann ich dem Jungen und dem Mädchen trotzdem was zu trinken anbieten?«
»Du hast von uns gehört?«
»Ja. Oder gibt es hier noch mehr geflügelte Drachen, die in jedem Dorf Reparaturarbeiten und Hilfe bei Aussaat und Fischfang anbieten, ohne dafür etwas zu verlangen?«
»Äh, nein. Wahrscheinlich nicht«, stammelte Ben, noch immer überrumpelt.
»Heißt das, wir zwei dürfen schuften, und die beiden Kleinen werden durchgefüttert?«, knurrte Aiphyron. »Andersherum wär’s mir lieber.«
Der Alte musterte ihn kurz, dann sagte er: »Ich glaube nicht, dass ich Becher in eurer Größe habe.«
»Ich trink auch direkt aus dem Fass«, sagte Marmaran.
»Und was darf’s sein? Wein oder Bier?«
»Wasser.«
»Wasser gibt’s im Bach.« Ungerührt deutete der Alte auf die andere Seite des Weilers.
»Zu großzügig, danke«, sagte Marmaran, aber auf Bens Bitte nahm er den Pflug und schob ihn mühelos über das Feld. Aiphyron begab sich an seine Seite und pflügte mit den Klauen. Gemeinsam versuchten sie, eine Melodie zu pfeifen, was aber mit den lippenlosen Mündern nicht gelingen wollte. Also summten sie.
»Scheinen lustige Kerle zu sein«, sagte der Alte und stellte drei Krüge mit verdünntem Wein auf den Tisch hinter seinem Haus. »Ich bin Kugg.«
Ben und Anula nickten, nannten ihre Namen jedoch nicht, was den Alten nicht zu stören schien. »Glaubst du nicht, was der Orden sagt?«
»Ich glaube nur, was ich sehe und was meine Freunde sagen. «
»Und?«
»Ich hab gehört, dass ihr helft, und ihr seid da und helft. Vom Orden war noch keiner zum Pflügen da, sie kommen immer nur nach der Ernte, um ihren Teil zu holen.« Viel mehr sagte der schweigsame Kugg nicht, bis die Drachen bei Einbruch der Nacht fertig waren.
Auf dem Rückweg flogen sie noch eine Schleife über Rhaconia, und Ben fragte Marmaran über dem Viertel mit den Händlervillen, ob er den stachelbewehrten Wachdrachen im Freien sehen konnte. Er konnte. Doch vom Schoßdrachen nebenan war keine Spur zu sehen, wahrscheinlich durfte der nicht allein hinaus, weil er sich sonst die Füße schmutzig machte.
Noch waren die Straßen belebt, also warteten sie auf einer nahen Klippe eine gute Stunde ab, dann kehrten sie zum Händleranwesen zurück. Nun waren keine Lichter mehr auf den angrenzenden Straßen zu sehen. Aiphyron stürzte mit Ben in die Tiefe und schnappte sich den kleinen Drachen, der sie viel zu spät hatte kommen sehen und erst dann laut röchelte, zappelte und fauchte, als sie schon wieder weit über dem Palast in der Luft waren.
»Wachdrache, pah«, brummte Ben, während Aiphyron fluchte: »Die Stacheln pieksen.«
Knurrend und schimpfend flogen sie über das Meer, und Aiphyron drohte dem kleinen Drachen mehrmals, ihn fallen zu lassen. Doch der knurrte nur und pustete Rauchwölkchen durch seine Nüstern.
Auf der Insel angekommen, hielt ihn Aiphyron weiter
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