Das Verlies
nachweisen? Aufgrund der Indizien haut ihn sogar ein Pflichtverteidiger raus, das heißt, Lura braucht gar keinen Verteidiger, denn ich kenne keinen Staatsanwalt oder Richter, der aufgrund dieser kärglichen Beweislage Anklage erheben würde. Hämatome an den Hand-und Fußgelenken können auch von Fesselspielchen herrühren, schließlich hatten die Lura und Becker ein Verhältnis. Das Hämatom am Bauch kann von einem Sturz auf eine Stuhllehne oder so was stammen. Die drei Streichhölzer neben dem Auto können vom Wind ausgeblasen worden sein, der durch die Fenster geweht ist. Und dann hat Becker es doch geschafft, eins anzuzünden und es auf die Motorhaube zu werfen. Wir haben zwar Beweise, aber es sind nur Beweise für uns. Wir können sie unmöglich schon jetzt einem Staatsanwalt vorlegen. Ich frag mich, wie wir Lura diese Morde nachweisen sollen. Der ist viel gerissener, als wir denken. Dazu kommen die beiden Kugeln in seinem Körper, die ihn quasi unantastbar machen.«
»Die hat er auf sich selbst abgefeuert, wobei er sicher war, dass sie nicht tödlich sein würden«, sagte Seidel.
»Aber ein Anwalt würde das ganz anders sehen«, konterte Durant.
»Er spielt ein Spiel, von dem er glaubt, es schon gewonnen zu haben«, warf Hellmer ein. »Doch was hat die Kriminalgeschichte in solchen Fällen immer wieder gezeigt?« Er blickte die andern an, und als er keine Antwort erhielt, fuhr er fort: »Solche Typen wollen weiterspielen. Lura fordert uns heraus, er wartet eigentlich nur darauf, dass wir kommen und ihn mit Fragen bombardieren. Und er wird sich ins Fäustchen lachen und uns fürchterlich alt aussehen lassen. Aber ich fürchte noch etwas – er könnte auch Blut geleckt haben, im wahrsten Sinne des Wortes. Er merkt, dass wir auf der Stelle treten, und braucht jetzt den ultimativen Kick, wenn ihr versteht, was ich meine.«
»Nein, ich verstehe nicht ganz, Herr Hellmer«, sagte Berger.
»Was, wenn er sich schon ein weiteres Opfer ausgesucht hat? Lura ist weiß Gott nicht dumm, aber er scheint ein Psychopath zu sein. Er ist ein Stratege, ein Planer. Das ist wie ein Schachspiel, bei dem er vom ersten Zug an weiß, dass er den Gegner besiegen wird. Und wir müssen nun seine Gedankengänge nachvollziehen. Wir müssen herausfinden, wo er seine Frau und Becker gefangen gehalten hat. Wir müssen seine wahren Beweggründe herausfinden, aber dazu sind wir auf Hilfe von außen angewiesen. Uns wird er nur Lügengeschichten auftischen. Wir müssen seine Vergangenheit kennen, seine Vorlieben, seine Schwächen, seine Fehler, vor allem aber seine Stärken. Erst wenn wir seine Stärken kennen, können wir ihn besiegen, denn seine Schwächen kennen wir schon.«
»Sie glauben allen Ernstes, er wird sich ein weiteres Opfer suchen?«, fragte Berger zweifelnd. »Eine sehr vage Theorie, Herr Hellmer. Ich sehe nur ein Motiv in diesem Doppelmord, wenn es denn einer war – Eifersucht und Rache. Er ist es gewohnt, immer und zu jeder Zeit die Kontrolle über alles und jeden zu haben. Dann merkt er, dass seine Frau fremdgeht, und das kann er unmöglich zulassen. Und da schmiedet er den Racheplan.«
»Ich glaube nicht, dass Eifersucht und Rache das Motiv sind«, meldete sich Durant zu Wort. »Ich stimme Frank zu, es steckt etwas völlig anderes hinter alldem. Er will uns beweisen, wie stark und mächtig er ist.«
»Oder er will sich etwas beweisen, nämlich, dass er nicht der kleine Rolfi ist, sondern ein gestandener Mann.«
»Das hat er doch schon allein dadurch, dass er ein äußerst erfolgreiches Geschäft führt.«
»Trotzdem nennt ihn seine Mutter immer noch Rolfi. Mich würde interessieren, wie seine Gefühle ihr gegenüber wirklich aussehen. Angeblich sind die beiden ein Herz und eine Seele, aber möglicherweise ist es von seiner Seite aus eine Art Hassliebe. Er liebt sie, denn sie hat ihm immer alles gegeben, was erbrauchte. Sie war immer für ihn da. Aber auf der andern Seite könnte da auch eine gehörige Portion Hass sein, doch fragt mich nicht, warum.«
»Möglicherweise, weil er nie seine wahre Persönlichkeit entwickeln konnte, sondern ihm von seiner Übermutter eine Persönlichkeit aufgedrückt wurde, die er eigentlich gar nicht haben wollte«, sagte Seidel. »Er hatte keine Chance, sich gegen seine Mutter durchzusetzen, also hat er sich in sein Schicksal ergeben. Er empfindet Liebe für sie, unbewusst aber hasst er sie. Könnte das hinhauen?«
»Kann sein. Doch kommen wir noch einmal auf die Hypothese zurück, er
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