Das Verlies
willst.«
Horst Lura trank noch ein Glas Whiskey, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und sagte: »Rolf hat Gabi geschlagen und misshandelt. Wie oft, kann ich nicht sagen, aber es muss sehr oft gewesen sein …«
»Ich weiß, Gabi hat es mir erzählt.«
»Dann brauch ich ja nicht mehr viel zu sagen. Was du aber nicht weißt, ist, dass er diesen Zug von deiner Mutter hat. Von ihr weiß er, welche Wirkung körperliche Gewalt haben kann.«
»Ich verstehe nicht ganz, was du damit meinst«, erwiderteWolfram Lura, neigte den Kopf ein wenig zur Seite und sah seinen Vater fragend an. »Weder ich noch Rolf sind von Mutter jemals geschlagen worden. Zumindest erinnere ich mich nicht daran.«
»Deine Mutter verstand es großartig, alles geheim zu halten. Aber Rolf war ein paar Mal dabei und hat zugesehen. Ich glaube, deine Mutter wollte, dass er es sieht, dass ihr lieber kleiner Rolfi sieht, wozu sie fähig ist …«
»Wobei hat er zugesehen?«
»Unterbrich mich doch nicht andauernd!«, fuhr er Wolfram an. »Ich brauch noch was zu trinken«, sagte er und schenkte sich ein und trank. Er behielt das Glas in der Hand und wirkte gedankenverloren. Seine sonst so kernige Stimme wurde mit einem Mal beinahe zu einem Flüstern, und er blickte verschämt zu Boden, als er fortfuhr: »Rolf hat gesehen, wenn deine Mutter in einem ihrer Wutanfälle
mich
geschlagen hat.«
Das Fallen einer Stecknadel hätte in dem Zimmer gedröhnt wie ein Donnerhall. Andrea machte ein betroffenes Gesicht und sah Wolfram an, der kaum merklich den Kopf schüttelte, obgleich alles in ihm in Aufruhr war.
»Mutter hat dich geschlagen?«, sagte er mit belegter Stimme. »Wieso hast du dich nie gewehrt?«
»Tja, wieso?« Horst Lura zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich, weil ich von meinen Eltern beigebracht bekommen habe, dass man eine Frau nicht zu schlagen hat. Sei immer freundlich zu andern, vor allem zu den Menschen, die du liebst. Das hat meine Mutter schon zu mir gesagt, als ich noch ein kleines Kind war. Deine Großmutter war eine wundervolle Frau, ich hab Gabi immer mit ihr verglichen. Schade, dass du sie nie kennen gelernt hast … Ich konnte jedenfalls nicht zurückschlagen, auch wenn ich es gewollt hätte, da war einfach eine innere Sperre. Manchmal hat mich schon die Wut gepackt, und ich hätte deine Mutter umbringen können, aber dann hab ich doch alles runtergeschluckt, bin in die Kneipe gegangen, unddanach ging’s mir besser. Du hältst mich jetzt bestimmt für einen Waschlappen …«
»Nein, nein, Papa, das tue ich nicht. Mein Gott, das habe ich nicht gewusst. Wieso hast du denn Mutter nicht verlassen?«
Horst Lura lachte kurz und bitter auf und antwortete: »Deine Mutter verlässt man nicht. Damals gab es noch ein anderes Scheidungsrecht, man konnte nicht so einfach beschließen, ich lass mich scheiden. Wenn die Ehefrau gesagt hat, ich will die Ehe aufrechterhalten, dann wurde sie aufrechterhalten. Deine Mutter hätte mich vernichtet, nicht körperlich, aber finanziell. Ich hatte keine Möglichkeit zu gehen. Als ihr noch klein wart, wollte ich euch nicht mit ihr allein lassen, weil ich mir eingebildet habe, ich könnte Schlimmeres verhindern, aber ich war zu schwach. Ich bin nie gegen sie angekommen. Und als erst du und dann Rolf das Haus verlassen habt, war es zu spät. Und mit der Zeit habe ich mich mit allem abgefunden. Ich hatte einfach keine Kraft mehr.«
»Du hast dich damit abgefunden, gedemütigt zu werden?« Wolfram sah seinen Vater mit ungläubigem Blick an.
»Ach Junge, mit der Zeit findet man sich mit allem ab. Es gibt Schlimmeres.«
»Und Rolf weiß davon, weil er es mit angesehen hat«, sagte Wolfram mehr zu sich selbst. »Das erklärt natürlich einiges.«
»Ja, und genau deshalb traue ich ihm auch zu, ein solch furchtbares Verbrechen begangen zu haben. Rolf geht über Leichen, wenn es sein muss, und er macht dabei auch vor sich selbst nicht Halt, vorausgesetzt, es ist zu seinem Vorteil. Früher habe ich immer gedacht, das würde sich nur auf das Geschäft beziehen, inzwischen bin ich anderer Meinung.«
»Aber welchen Vorteil sollte er davon haben, wenn er Gabi umbringt?«
Horst Lura lachte gallig auf, verzog die Mundwinkel und meinte: »Freude. Er hat Freude daran, Menschen zu quälen.Gabi hat mir immer Leid getan. Ich hätte ihr so gerne geholfen, aber ich konnte nicht. Rolf und deine Mutter hätten es sofort rausgekriegt.«
»Du hast Angst vor deinem Sohn und deiner Frau? Hättest du mir nur
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