Das Verlies
Runde.
Hellmer schaute Durant an, die kaum merklich mit dem Kopf schüttelte, Kullmer und Seidel sagten wie aus einem Mund: »Nein, es war Wochenende.«
»Und wie haben Sie sich jetzt das weitere Vorgehen vorgestellt?«, fragte Berger.
»Wir werden Lura vorläufig festnehmen und hier auf dem Präsidium verhören«, antwortete Durant trocken.
»Bitte? Mit welcher Begründung?«
»Unter anderem mit dieser«, sagte sie und legte den Ausdruck auf den Tisch. »Ich war gestern Abend hier und bin sämtliche ungeklärten Mord- und Vermisstenfälle der vergangenen dreißig Jahre durchgegangen, weil ich der Überzeugung bin, dass Lura kein Ersttäter ist …«
»Augenblick, Augenblick«, unterbrach sie Berger. »Jetzt mal ganz sachte und schön der Reihe nach, damit ein alter Mann wie ich das auch alles kapiert.«
»Melissa Roth, zweiundzwanzig Jahre alt, vermisst gemeldet am 14. Dezember 1978. Sie war BWL-Studentin, und zwar zur selben Zeit wie Lura. Der komplette Vorgang müsste in wenigen Minuten hier sein, ich habe ihn im Archiv angefordert. Lesen Sie selbst.«
Berger nahm die vier Seiten in die Hand und überflog sie. »Sie meinen, Lura könnte dahinter stecken?«
»Es ist vorläufig nur eine Vermutung …«
»Wenn Sie von Vermutung sprechen, dann heißt das, Sie sind überzeugt.«
Durant zuckte mit den Schultern. »Nennen Sie es, wie Sie wollen, für mich ist Lura ein Killer. Hellmer und ich haben uns gestern Nachmittag mit dem ehemaligen Arzt der Familie Lura unterhalten, der sehr detaillierte Angaben über Lura machen konnte. Frank, erzähl du.«
Hellmer berichtete von dem Gespräch mit Dr. Hahn, und erließ dabei keine Einzelheit aus. Als er geendet hatte, sagte Berger nachdenklich: »Das hört sich nicht sehr gut für den Herrn an. Gibt es noch etwas, das ich wissen müsste?«
»Ja. Ich habe am Freitagabend diesem Dr. Meißner einen Besuch abgestattet. Er wurde nach einer Weile doch ziemlich redselig und hat zugegeben, Lura gewisse Dienste erwiesen zu haben. Demnach hat Lura des Öfteren Frauen übel zugerichtet und sie von Meißner behandeln lassen. Ich will aber nicht, dass Meißner deswegen Scherereien bekommt, ich hab’s ihm auch zugesichert. Lura hat ihn und auch Becker irgendwie in der Hand gehabt, auch wenn er ganz offensichtlich fürstlich bezahlt hat. Ich habe gerade eben noch mal mit Meißner telefoniert, und der hat mir etwas sehr Aufschlussreiches mitgeteilt. Lura hat von seinem Thorax eine CT machen lassen, und jetzt kommt’s. Er hat Meißner gefragt, wo eine Kugel keinen größeren Schaden anrichtet, angeblich, weil ihm einige Ungereimtheiten in einem Film aufgefallen sind. Meißner hat’s ihm erklärt, ohne sich was dabei zu denken. Er würde das übrigens auch vor Gericht bezeugen, vorausgesetzt, er wird von seiner Schweigepflicht befreit. Tja, und am Samstag war ich bei Lura. Ich habe ihm einige unangenehme Dinge auf den Kopf zugesagt, bis er schließlich zugab, seine Frau ab und zu geschlagen zu haben. Dabei hat er mir weismachen wollen, sie hätte ihn zur Weißglut getrieben und so weiter und so fort.«
Berger, Kullmer und Seidel hatten die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Kullmer sagte: »Also, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, ist Lura schon als Kind auffällig geworden, indem er einige Male von zu Hause abgehauen, aber kurz darauf wieder aufgetaucht ist, ohne dass jemand wusste, wo er sich rumgetrieben hat. Außerdem hat er sich etliche Male selbst Verletzungen zugefügt, um damit ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wie zum Beispiel das ersehnte Auto zu bekommen. Er hat sich erklären lassen, wie man sich Schussverletzungen beibringt, ohne dabei zu sterben, und er hat ein Riesenproblem mit Frauen …«
Die Tür ging auf, ein Beamter kam herein und legte zwei dicke Ordner auf den Tisch. »Die angeforderten Unterlagen aus dem Archiv.«
»Danke«, sagte Durant, woraufhin sich der Beamte wieder entfernte. Sie schlug einen Ordner auf, während Hellmer sich den anderen vornahm. Sie blätterten Seite für Seite durch, bis Hellmer sagte: »Hier ist die Liste mit den Studenten … Moment … Bingo! Rolf Lura war im selben Kurs wie Melissa Roth. Er wurde befragt, aber er hat ausgesagt, keinerlei Kontakt zu ihr gehabt zu haben. Sein Alibi ist dünn, laut seiner Aussage hat er am 13. Dezember 1978 zu Hause gelernt. Und das war’s schon, mehr gibt’s über ihn hier drin nicht. Er ist durchs Raster gefallen, weil er der Sohn eines angesehenen Autohändlers war. Mag jemand über
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