Das Verlies
ist«, sagte sie mit verhaltener Stimme und einem gequälten Lächeln. »Seitdem habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen, ich hatte einfach keine Lust. Wolfram weiß es auch noch nicht, ich habe ihn noch nicht angerufen.«
»Das hört sich an, als hätten Sie kein gutes Verhältnis zu Ihren Schwiegereltern.«
»Das ist leicht untertrieben. Ich kam mit ihnen von Anfang an nicht klar. Das heißt, mit meinem Schwiegervater schon, doch sie hat zu Hause die Hosen an, und er tanzt nach ihrer Pfeife.«
»Sie müssen es ihnen aber mitteilen. Es macht keinen guten Eindruck, wenn wir das für Sie übernehmen.«
»Meine Schwiegermutter denkt doch sofort, dass ich etwas damit zu tun habe. Wahrscheinlich wird sie Ihnen das auch sagen. Ich war für sie immer die ungeliebte Schwiegertochter. Wissen Sie, sie wollte eine gestandene Frau und keine abgehobene Künstlerin für ihren über alles geliebten Rolf.«
»So schlimm?«
»Schlimmer«, seufzte sie.
»Rufen Sie jetzt an, dann sind Sie wenigstens nicht allein.«
Gabriele Lura zögerte, holte das Telefon und tippte die Nummer ein.
»Ja, hallo, ich bin’s noch mal, Gabriele. Ich wollte nur sagen, dass Rolf noch immer nicht aufgetaucht ist … Es tut mir Leid, aber ich konnte ja nicht ahnen, dass … Bitte, ich brauche jetzt keine Vorwürfe … Ja, die Polizei ist im Augenblick hier bei mir.Sie suchen schon nach ihm … Ja, du kannst mit ihnen reden. Moment.«
Sie reichte den Hörer Durant. »Frau Lura?«
»Wo ist mein Sohn?«, fragte die Frau am andern Ende mit harter, energischer Stimme.
»Wenn wir das wüssten, wären wir nicht bei Ihrer Schwiegertochter. Wir arbeiten daran herauszufinden, wo Ihr Sohn sich aufhält.«
»Ist ihm etwas zugestoßen?« Plötzlich wurde die Stimme sanfter und auch ängstlich.
»Wir wissen noch überhaupt nichts, weil wir keine Spur von ihm haben. Sie müssen sich also bitte noch gedulden … Nein, jetzt hören Sie mir zu … Frau Lura, bitte! … Ja … Wir werden morgen im Laufe des Tages bei Ihnen vorbeikommen, und dann können wir uns in aller Ruhe unterhalten. Und sollte es vorher Entwarnung geben, werden Sie das als Erste erfahren … Frau Lura, Ihre Schwiegertochter hat alles richtig gemacht … Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe noch zu tun.« Nach dem Telefonat sah sie Gabriele Lura an und zog die Augenbrauen hoch. »Ist sie immer so?«
Diese seufzte auf und antwortete: »Ich kenne sie nicht anders. Ich kann angeblich nicht richtig kochen, ich erziehe Markus falsch, ich tauge sowieso zu nichts. Das ist jedenfalls ihre Meinung, und das lässt sie mich immer wieder spüren.«
»Kommen wir auf Ihren Mann zurück. Was macht er, wenn er nicht geschäftlich zu tun hat? Hat er Hobbys?«
»Er will abends eigentlich immer nur seine Ruhe haben. Sein größtes Hobby ist Lesen. Sie sehen ja selbst, wie viele Bücher hier stehen. Ob Sie es mir glauben oder nicht, er hat sie alle gelesen. Er ist ein wandelndes Lexikon. Wenn
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kommt, weiß er fast immer alle Antworten. Das nur nebenbei. Und dann besucht er mindestens zweimal in der Woche seine Eltern, hauptsächlich seine Mutter, die für ihn der Mittelpunkt der Welt oder des Universums ist.«
»Und was ist mit Freunden?«
»Sie meinen, ob er Freunde hat. Rolf ist kein sonderlich geselliger Mensch. Der einzige Freund, wenn man ihn als solchen bezeichnen kann, ist Dr. Becker. Er wohnt in Niederrad in der Humperdinckstraße. Werner ist sein Anwalt und Freund. Sie sind jedenfalls öfter zusammen.«
»Was heißt öfter?«
»Zwei-, dreimal im Monat treffen sie sich, gehen in eine Bar oder unternehmen irgendwas anderes. Aber sonst hat mein Mann keine Freunde. Bekannte ja, doch er hält Distanz.«
»Wann haben sich Dr. Becker und Ihr Mann zuletzt getroffen?«
»Vergangene Woche.«
»Wir brauchen dann bitte auch seine genaue Adresse und Telefonnummer.«
»Warten Sie bitte, ich muss sie raussuchen.« Sie zog die Schublade des Telefontisches heraus, kramte darin herum und kam mit einem Blatt Papier zurück, auf dem mehrere Namen und Nummern vermerkt waren, nahm einen Stift und einen Zettel und schrieb auch diese Nummer und die Adresse auf.
»Ich muss Ihnen noch einmal die Frage stellen, ob Ihr Mann schon mal für einen Tag oder länger weggeblieben ist, ohne dass er Ihnen mitgeteilt hat, wo er ist?«
»Nein, ich weiß immer, wo er ist. Wenn er geschäftlich unterwegs ist, dann bei Kunden, die eben die persönliche Beratung zu Hause wünschen. Und diese Kunden sind in
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