Das Verlies
komische Gefühl, als würden die mich verdächtigen, mit seinem Verschwinden etwas zu tun zu haben.«
»Jetzt reg dich nicht auf, es wird alles gut, okay? Wahrscheinlich bist du ihn ein für alle Mal los.«
»Schön wär’s. Ich meine, er muss ja nicht gleich tot sein. Ich trau dem Frieden aber trotzdem nicht. Ich habe Angst, dass er plötzlich vor mir stehen könnte und …«
»Du brauchst keine Angst zu haben. Was immer auch geschehen ist, es ist gut so. Ich kann jetzt aber nicht mehr länger reden. Corinna liegt zwar schon im Bett, doch man kann nie wissen. Wir sehen uns morgen wie verabredet. Ich bin zwischen elf und eins bei dir, genau kann ich’s noch nicht sagen.«
»Danke. Aber wenn die Polizisten da sind, die dürfen nichts merken.«
»Was denkst du denn von mir? Ich bin einfach nur jemand, der sich Sorgen um seinen besten Freund und Klienten macht. Das ist doch legitim. Weiß die Polizei eigentlich schon von meiner Existenz?«
»Ich musste es ihnen vorhin sagen. Du bist sein Anwalt undbester Freund und so weiter. Sie wollten ja alles Mögliche von mir wissen. Sie würden dich sowieso befragen.«
»Also gut, dann bis morgen und schlaf schön. Und denk dran, ich liebe dich.«
»Ich dich auch.«
Sie hielt den Hörer noch eine Weile in der Hand und blickte zur Haustür, als müsste sie sich vergewissern, auch wirklich allein zu sein. Dann ging sie in den ersten Stock, schaute nach Markus, der tief und fest schlief, stellte sich im Dunkeln an das Schlafzimmerfenster und sah hinunter auf den Garten und die Straße. Nur wenige parkende Autos waren zu sehen, die meisten wurden von den Haltern abends in die Garage gestellt. Sie ließ ihren Blick über die kleine Straße schweifen und sah, wie in einem dunklen Auto ein Feuerzeug aufflammte. Doch sie schenkte dem keine Beachtung, drehte sich um, begab sich wieder nach unten und trank in langsamen Schlucken ein Glas Wasser. Dabei kreisten Gedanken aller Art durch ihren Kopf, so viele Gedanken auf einmal, und es schienen immer mehr zu werden. Sie wurde zunehmend nervöser und mahnte sich zur Ruhe, sagte sich, doch gelassen zu bleiben und die Dinge so zu nehmen, wie sie sind. Aber da war auch Angst, und die wollte nicht weichen.
Wo verdammt noch mal bist du? Hast du dich in Luft aufgelöst? Bist du tot? Du weißt, ich habe dir nie den Tod gewünscht, ich wollte nur geliebt werden. Was ist, wenn sie dich nicht finden?
Es war weit nach Mitternacht, und obwohl sie seit sieben Uhr auf den Beinen war und in der Nacht zuvor kaum mehr als zwei Stunden geschlafen hatte, war sie nicht müde. Sie legte sich auf das Sofa und schaltete den Fernseher ein. Ihr war egal, was gerade lief, sie wollte nur nicht allein sein. Zuletzt schaute sie um zwanzig nach zwei zur Uhr. Kurz darauf schlief sie ein.
Mittwoch, 8.15 Uhr
Julia Durant hatte eine viel zu kurze, aber ruhige Nacht hinter sich. Sie war von ganz allein um halb sieben aufgewacht, hatte auf nüchternen Magen eine Aspirin genommen, weil sie kleine spitze Stiche in der linken Schläfe verspürte, war ins Bad gegangen, wo sie sich eine Viertelstunde aufhielt, und hatte gefrühstückt. Als sie im Präsidium ankam, waren Berger und Hellmer bereits in ihren Büros, Kullmer und Seidel würden irgendwann in den nächsten Minuten eintreffen. Sie murmelte ein »Guten Morgen«, hängte ihre Tasche über die Stuhllehne und setzte sich Berger gegenüber.
»Der Fall Lura hat eine neue Dimension angenommen«, war das Erste, was Berger von sich gab. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Irgendwas, was ich noch nicht weiß?«, fragte Durant.
»Blut und Haare auf dem Fahrersitz und im Kofferraum«, antwortete Berger trocken. »Wir warten auf die Analyse.«
»Uups«, entfuhr es Durant. »Die Sache wird spannend.«
»Denken Sie das Gleiche wie ich?«
»Möglich. Aber wo ist die Leiche? Im Auto war sie jedenfalls nicht.«
»Ich bin sicher, Sie werden das herausfinden. Aber fragen Sie doch Herrn Hellmer, der hat letzte Nacht mit der KTU gesprochen.«
Hellmer stand an den Türrahmen gelehnt da, die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben, und nickte. »Tja, ich geh mal ganz stark davon aus, dass Lura ermordet wurde. Wenn es nicht so wäre, hätten sich die Entführer längst gemeldet, da bin ich sicher. Wir haben es hier nicht mit einer Entführung zu tun, da ist meiner Meinung nach etwas völlig anderes vorgefallen.« Er kam näher, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben Durant, aber
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