Das Verlies
Würden Sie mir den Grund nennen, warum Ihr Mann sich eine Geliebte gesucht hat? Ich bin deswegen auch allein gekommen, weil ich von Frau zu Frau mit Ihnen sprechen wollte. Sie haben vorhin erwähnt, dass Ihr Mann Sie seit der Geburt Ihres Sohnes nicht mehr angerührt hat, Sie haben aber gleichzeitig betont, dass es Ihre Schuld sei. Was ist damals passiert?«
»Ich hatte eine unglaublich schwere Schwangerschaft, vor allem in den letzten drei Monaten. Bluthochdruck, zu viel Eiweiß, zu viel Wasser, ich habe manchmal ausgesehen wie ein voll gesogener Schwamm. Der Arzt meinte, es könnte sein, dass ich die Schwangerschaft nicht überlebe oder dass das Kind es nicht schafft oder im schlimmsten Fall wir beide sterben müssen. Zum Glück ist alles gut gegangen. Aber ich hatte danach Angst, noch einmal schwanger zu werden. Ich vertrage die Pille nicht, bei Maximilian bin ich trotz Spirale schwanger geworden, na ja … Ich hatte einfach Angst davor, mit meinem Mann zu schlafen, habe mir aber eingeredet, dass es irgendwann wieder sein wird wie früher. Mein Mann hat mich zu einem Arzt geschickt, der mir Antidepressiva verschrieben hat, morgens Antidepressiva, abends Valium. Und dazu immer noch mal das eine oder andere Glas. Deshalb sage ich, es war meine Schuld, dass er sich eine Geliebte genommen hat, denn ich habe ihm nichts mehr gegeben.«
»Sie sind aber nicht schuld an seinem Tod, diese Entscheidung hat er ganz allein getroffen. Sie sind eine nette Frau, das möchte ich Ihnen einfach nur sagen. Und vielleicht können wir uns irgendwann mal über Ihre Bilder unterhalten, in zwangloser Atmosphäre.«
»Gerne. Eine Frage habe ich jetzt aber an Sie: Sind Sie wirklich überzeugt, dass mein Mann und Gabriele Herrn Lura umbringen wollten?«
»Ich habe mich vorhin falsch ausgedrückt. Ich habe keinerlei Beweise für meine Behauptungen. Es sind lediglich Vermutungen. Was sich wirklich abgespielt hat, wird uns wohl erst Herr Lura erzählen können.«
»Wie geht es ihm?«
»Das kann ich nicht sagen. Er ist im Krankenhaus, und ich war noch nicht bei ihm.«
»Was genau ist mit ihm passiert?«
»Er wurde angeschossen, von wem, entzieht sich jedoch bisher meiner Kenntnis.«
»Ich mag Rolf nicht«, sagte Corinna Becker. »Ich habe diesen Typ noch nie gemocht. Er ist schleimig und undurchschaubar, und ich habe mich immer gefragt, weshalb Werner und Rolf so gut befreundet waren. Ich habe ihm nicht nur einmal gesagt, dass es doch reichen würde, wenn sie auf rein geschäftlicher Basis verkehren würden, aber Werner hat nur gemeint, den besten Klienten müsse man wie ein rohes Ei behandeln. Das Anwaltsgeschäft ist nicht leicht, ein Großteil der Anwälte in Deutschland leben knapp über, viele sogar unter dem Existenzminimum. Durch Herrn Lura hat mein Mann viel Geld verdient, weil er durch ihn auch noch andere Klienten gewonnen hat. Aber das ändert nichts an meiner persönlichen Abneigung ihm gegenüber.«
»Haben Sie irgendwelche schlechten Erfahrungen mit ihm gemacht?«
»Einmal, aber das hat mir gereicht. Das war vor acht oder neun Jahren. Wir waren zu einem Gartenfest geladen, und dabei ist Herr Lura mir gegenüber ziemlich ausfällig geworden. Er hat zwar an diesem Abend recht viel getrunken, aber das entschuldigt nicht seine Entgleisungen. Seitdem halte ich Distanz zu ihm.«
»Wie haben diese Entgleisungen denn ausgesehen?«
»Als mein Mann sich mit anderen Gästen unterhielt, kam Herr Lura zu mir und hat mich richtiggehend angemacht. Er hat mich ganz unverblümt gefragt, ob ich nicht mal Lust hätte, mit ihm nach oben zu gehen, wobei er in seiner Ausdrucksweise ziemlich ordinär wurde. Ich habe es natürlich meinem Mann erzählt, aber der hat nur abgewiegelt und gemeint, bei einem Betrunkenen sollte man nicht alles so ernst nehmen. Aber so betrunken war er nun auch wieder nicht.«
»Sie sprechen jetzt die ganze Zeit von Herrn Lura, vorhin aber haben Sie ihn Rolf genannt. Ich nehme an, Sie wollten das gar nicht, oder?«
»Nein, aber ich habe gute Miene zum bösen Spiel gemacht,als er mir das Du angeboten hat, allein schon, um meinen Mann nicht zu brüskieren. Ich habe ihn zum Glück nicht oft sehen müssen. Und wenn er hier war, habe ich mich nach oben verzogen.«
»Können Sie mir etwas über seine Ehe berichten?«
»Nichts Besonderes. Aber ich glaube, Gabriele war sehr unglücklich. Sie hat zumindest ein paar Mal so merkwürdige Andeutungen gemacht. Ganz ehrlich, ich mochte Gabriele, und ich kann ihr sogar noch
Weitere Kostenlose Bücher