Das verlorene Gesicht
hineinzulesen. Ich bin dorthin gegangen, weil es dunkel war und ich den Weg kannte. Ich wollte mich nicht verlaufen.«
»Das ist alles?«
»Was hatten Sie denn erwartet? Dass ich an einer Seance teilgenommen habe?«
»Reißen Sie mir doch nicht gleich den Kopf ab. Ich bin nur neugierig. Eigentlich hatte ich gehofft, der Spaziergang hätte Ihnen einen klaren Kopf beschert und Sie wären zu einer Entscheidung gelangt über –«
»Hat er nicht.« Sie begann, die Treppe hinaufzusteigen. »Ich werde morgen früh mit Ihnen reden.«
»Ich werde bis weit in die Nacht hinein arbeiten. Falls Sie sich zu einer Entscheidung –«
»Es reicht, Logan.«
»Wie auch immer.« Dann fügte er hinzu: »Da Sie offenbar wissen, dass ich Sie im Auge behalte, fand ich es nur fair, Sie auch über meinen Aufenthaltsort auf dem Laufenden zu halten.«
»Klar.« Sie knallte ihre Zimmertür zu und ging ins Bad. Eine heiße Dusche würde die Anspannung von ihr nehmen. Vielleicht konnte sie dann wieder nach unten gehen und an Mandy arbeiten. Sie wusste, dass sie sowieso nicht gut schlafen würde, da konnte sie genauso gut etwas Produktives tun.
Nicht dass sie fürchtete, einzuschlafen und von Bonnie zu träumen. Bonnie war keine Bedrohung. Wie sollte ein liebevoller Traum eine Gefahr darstellen?
Und es war bloß ein spontaner Impuls gewesen, der sie zu dem Friedhof geführt hatte, nicht Bonnie, die sie gerufen hatte.
Die beiden Leichen lagen zusammen in einem Schlafsack, die Arme in einer letzten Umarmung umeinander geschlungen. Sie waren nackt und in ihren weit aufgerissenen Augen lag das blanke Entsetzen.
Eine lange Zeltstange durchbohrte beide Körper. »Dieser Hurensohn.« Dass er sie ermordet hatte, war schon schlimm genug, aber für Gil hatte die Art und Weise, wie die Leichen der beiden alten Leute zugerichtet waren, etwas Obszönes. Es nahm ihrem Tod jede Würde.
Er sah sich auf dem Zeltplatz um. Keine Fußabdrücke. Keine sichtbaren Spuren. Fiske hatte sich Zeit genommen, alles aufzuräumen.
Gil klappte sein Handy auf und rief Logan an. »Zu spät.« »Für beide?«
»Ja. Ziemlich widerliche Angelegenheit.« Mehr als widerlich. »Was soll ich jetzt tun?«
»Komm zurück. Ich habe Maren noch nicht erreicht. Er ist irgendwo in der Wüste. Aber das könnte ein Glück sein. Wenn wir ihn nicht erreichen können, wird Fiske das wahrscheinlich auch nicht gelingen. Wir müssen es vielleicht aufschieben.«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen.« Gil warf einen Blick auf die beiden Leichen. »Fiske wird nicht herumsitzen und Däumchen drehen.«
»Ich verlasse mich auf gar nichts, aber ich werde dich
auf keinen Fall nach Jordanien schicken. Ich brauche dich möglicherweise.«
Gil dachte kurz nach. »Der Schädel?«
»Das kann nicht länger warten. Alles läuft viel zu schnell. Komm zurück.«
»Bin unterwegs.«
Sehr zufriedenstellend.
Alles hatte reibungslos geklappt und es war ihm sogar gelungen, dem Ganzen noch einen perversen Anstrich zu verleihen.
Fiske summte leise vor sich hin, als er seinen Wagen aufschloss und einstieg. Dann wählte er die Nummer von Timwick. »Cadro ist erledigt. Ich nehme das nächste Flugzeug nach Jordanien. Sonst noch was?«
»Lassen Sie Maren erst mal außen vor. Schließen Sie sich dem Observations-Team am Barrett House an.«
Fiske runzelte die Stirn. »Observation liegt mir nicht.« »Aber ich will, dass Sie Logan und die Duncan observieren. Wenn einer von den beiden niest, will ich es wissen, und ich will, dass Sie zur Stelle sind.«
»Es gefällt mir nicht, durch die Gegend zu rennen, bevor mein Job erledigt ist. Dieser Maren –«
»Wir sind Gil Price gefolgt, als er gestern früh das Haus verließ. Er ist schnurstracks in die Wohnung von Dora Bentz gefahren.«
»Und? Ich habe keine Spuren hinterlassen.«
»Sie kapieren nicht, worauf ich hinauswill. Er wusste von Dora Bentz und das bedeutet, dass Logan Bescheid weiß. Wir können nicht–« Timwick holte tief Luft. »Logan, Price und diese Duncan müssen liquidiert werden.«
»Sie haben doch gesagt, das sei zu riskant.«
»Das war, bevor wir wussten, dass Logan auf der richtigen Fährte ist. Jetzt können wir uns nicht mehr leisten, sie am Leben zu lassen.«
Endlich bewies Timwick Mumm. »Wann?«
»Ich lasse es Sie rechtzeitig wissen.«
Fiske schaltete sein Handy ab. Allmählich lief es nach seinem Geschmack. Sowohl die Herausforderung als auch die finanziellen Aussichten stiegen beträchtlich. Er begann wieder, vor sich hin zu summen, als er
Weitere Kostenlose Bücher