Das verlorene Gesicht
einzigen wunden Punkt in Eves Leben getroffen. Eve konnte sich regelrecht vorstellen, wie sie die Möglichkeiten durchgegangen war, um dann wie eine schwarze Witwe zuzuschlagen – Warum war sie sich so sicher, dass Lisa Chadbourne für den Angriff auf sie verantwortlich war? Womöglich irrte sie sich. Es konnte genauso gut Timwick sein. Nein, sie irrte sich nicht. Lisa Chadbourne würde niemals eine Frau unterschätzen. Sie hatte viel zu viel Hochachtung vor sich selbst. Eve setzte sich auf den Pier und schaute aufs Wasser. » Sie ziehen aber eine ganze Menge Schlüsse aus diesen Videobändern. « Sie zog tatsächlich eine Menge Schlüsse. Vielleicht bildete sie sich die subtilen Nuancen, die sie zu entdecken geglaubt hatte, nur ein. Von wegen. Sie war darauf spezialisiert, die Mimik eines Menschen zu analysieren. Und ihre Beobachtungen waren mehr als theoretisch. Sie hatte sich von demselben Instinkt leiten lassen, der ihr bei der Arbeit an dem Schädel geholfen hatte. Sie kannte Lisa Chadbourne. Fraser. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie in das Wasser starrte. Lisa Chadbourne und Fraser hatten nichts gemeinsam. Warum dachte sie dann, dass zwischen den beiden eine enge Verbindung bestand? Weil die Angst wieder da war. Sie war zurückgekehrt an dem Tag, als ihr Labor zerstört worden war. Da hatte sie an Fraser gedacht. Bei der Zerstörung des Labors war Lisa Chadbourne die Drahtzieherin gewesen und sie war es auch jetzt. Fraser war mit einem Wahnsinn behaftet gewesen, den Eve an Lisa Chadbourne nicht entdeckt hatte, aber beide besaßen das Selbstbewusstsein, das Macht einem verleiht. Die Befriedigung, die Macht mit sich brachte, war eine starke Antriebskraft. Fraser hatte das Töten Macht gegeben. Lisa Chadbournes Motivation war offenbar komplizierter … und möglicherweise sogar noch tödlicher. Der Hunger nach Macht konnte auf globaler Ebene weitaus größeren Schaden anrichten als auf einer persönlichen Ebene. Zum Teufel mit der globalen Ebene. Nichts konnte schlimmer sein als das, was mit Bonnie geschehen war. Die Welt bestand aus persönlichen Schicksalen, persönlichen Tragödien, und die Morde, die Fraser verübt hatte, waren genauso grauenhaft wie die Morde, für die Lisa Chadbourne verantwortlich war. Mord blieb Mord. Sie hatten Leben ausgelöscht und das Leben war heilig. Eve glaubte nicht, dass Detwil so gefährlich war, wie Logan annahm. Sie wusste nicht viel über Politik oder Intrigen oder diplomatische Verwicklungen, aber mit Mord kannte sie sich aus. Sie hatte mit Mord leben müssen und selbst beim Essen und im Schlaf war der Gedanke an Mord ihr ständiger Begleiter gewesen. Wie sie das alles verabscheute.
»Sie müssen die Mutter im Auge behalten, James.« Lisas Stirn legte sich in Falten, während sie das Duncan-Dossier auf dein Bildschirm betrachtete. »Sie liegt Eve Duncan offenbar sehr am Herzen. Ich denke, wir können sie auf irgendeine Weise benutzen.«
»Ich habe sie im Auge«, erwiderte Timwick. »Die ganze Zeit. Wir nehmen an, Duncan hat heute Morgen mit ihrer Mutter telefoniert. Sie hat ein digitales Handy benutzt, aber einer unserer Leute hat sie von draußen abgehört. Wir haben nur Bruchstücke des Gesprächs aufgeschnappt, aber ich wette, sie versucht, ihre Mutter aus der Gefahrenzone zu manövrieren.«
Nicht dumm. Genau das, was Lisa getan hätte. Jeden Schwachpunkt beseitigen. »Das darf nicht passieren. Kümmern Sie sich darum.«
»Soll ich sie denn für immer aus dem Verkehr ziehen lassen?«
Gott, Gewalt war Timwicks Patentlösung für alles. »Nein. Wir brauchen sie vielleicht noch.« »Sie wird von Madden Security, Logans Sicherheitsdienst, und von der Polizei von Atlanta bewacht. Es könnte schwierig werden, die Sache sauber zu erledigen.« »Tun Sie Ihr Bestes. Schicken Sie Fiske. Er hat das Problem mit dem Barrett House auf hervorragende Weise gelöst. Was ist mit dem Anthropologen?« »Wir observieren Crawford an der Duke University.« »Was ist mit den Leuten, mit denen Eve Duncan zusammengearbeitet hat?« »Wir sind dabei, die Liste durchzugehen. Das braucht Zeit.« »Wir haben keine Zeit. So schwierig kann das doch nicht sein. Er muss die entsprechende Ausbildung und Erfahrung mit DNA-Analysen besitzen.« »Es gibt mehr Leute mit Erfahrung in DNA-Analysen, als man annimmt. Das ist das Thema der Zukunft.« »Wir müssen die Liste zusammenstreichen. Schicken Sie sie mir, ich werde das übernehmen.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich muss
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