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Das verlorene Gesicht

Das verlorene Gesicht

Titel: Das verlorene Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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drehte sich um und schaute ihn an. »Scheiße«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich muss mich einfach an die Vorstellung gewöhnen. Es kommt mir so vor, als würde ich dich nicht wirklich kennen.« »Du kennst mich besser als irgendjemand auf dieser Welt, genau wie ich dich besser kenne als jeder andere.« »Und warum hast du mir dann nicht erzählt, dass …« »In Ordnung, ich erzähl’s dir.« Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Willst du genaue Zahlen? Drei. Zwei davon waren Drogendealer. Der dritte hatte einfach Spaß am Töten und er erinnerte mich an Fraser. Ich habe mich oft gefragt, ob ich bei ihm wirklich in Notwehr gehandelt habe. Vielleicht wollte ich nicht riskieren, dass er davonkam.« Er senkte seine Stimme. »Und ich habe niemals eine einzige schlaflose Minute wegen ihnen gehabt. Glaubst du, dass du mich jetzt besser kennst?« »Joe, ich –« »Willst du, dass ich dir von meiner Zeit bei der SEAL erzähle? Nein, ich sehe, du willst es nicht. Drei reichen dir. Du willst den Schatten des Sensenmanns nirgendwo in deiner Nähe haben. Ich habe das gewusst und akzeptiert.« »Warum habe ich nie etwas von dir über diese Toten gehört?« »Weil ich spürte, dass du nichts davon wissen wolltest. Das war leicht mitzukriegen. Nach Bonnies Tod hast du nie wieder Nachrichten gehört oder gelesen. Ich brauchte nur dafür zu sorgen, dass niemand in der Abteilung etwas ausplauderte.« Er blickte ihr direkt in die Augen. »Und ich würde es wieder tun. Du warst nicht bereit, dich damit abzufinden, dass ich nicht Andy Griffith bin, der in Mayberry rumspaziert. Womöglich wirst du das nie sein.« Sein Blick wanderte an ihr vorbei in den Korridor, der zum Labor führte. »Es gefällt mir überhaupt nicht, dass unser Mr Logan in dieses Wespennest gestochen hat.« »Dann hättest du ihm nicht drohen sollen.« »Glaubst du, ich wüsste das nicht? Das war idiotisch von mir. Ich war wütend und ich habe es dich spüren lassen.« Er lächelte. »Vielleicht belüge ich mich auch selbst. Vielleicht wollte ich es. Möglich, dass ich es einfach satt hatte zu … Aber was glaubst du, wie lange ich alles runterschlucken kann, ohne –« Er holte tief Luft. »Mach nicht kaputt, was uns verbindet. Wir sind schon so lange zusammen. Wie du schon sagtest, du kennst mich.« »Tu ich das?«, flüsterte sie. »Okay, fangen wir noch mal von vorne an. Ich werde ehrlich zu dir sein, auch wenn es dich umbringt. Zufrieden?« Er wandte sich ab. »Ich bin es nämlich nicht. Andererseits bin ich daran gewöhnt. Unzufrieden zu sein gehört mittlerweile zu meiner Lebensweise.« »Was soll –« »Das bringt uns nicht weiter. Ich muss los, die Gegend erkunden.« Er ging ein paar Stufen hinunter. »Aber keine Sorge, falls ich ein paar Verbrecher aufstöbere, werde ich sie mit Samthandschuhen anfassen. Wir wollen doch nicht, dass noch mehr Blut an meinen Händen klebt, oder?« Er war sauer auf sie. Vielleicht hatte er Recht. Er war ihr Freund, er stand ihr näher als ein Bruder und sie hatte ihn von sich geschoben und ihn ausgeschlossen. Joe kannte sie zu gut, um nicht genau zu wissen, was sie fühlte. Aber sie kannte ihn nicht so gut. Sie hatte geglaubt, ihn ebenso gut zu kennen, aber sie hatte keine Ahnung von all dem gehabt, was er vor ihr verborgen gehalten hatte. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie es nicht hatte wissen wollen. Polizisten hatten täglich mit Gewalt zu tun, und wenn sie den Gedanken an sich herangelassen hätte, wäre ihr klar gewesen, dass Joe da keine Ausnahme bildete. » Ich wollte nicht, dass du mich anschaust und Fraser siehst. « Sie hatte es von sich gewiesen, aber war es nicht ihr erster Gedanke gewesen, als Logan ihr von den Toten in Joes Vergangenheit erzählt hatte? Es war irrational, es war unfair, aber der Gedanke war da gewesen. Auch dies war eine Welle, die Logan ausgelöst hatte und die ihr Leben durcheinander brachte. Aber diesmal handelte es sich eher um eine Flutwelle. Ausblenden. Sie hatte auch so schon genug Sorgen. Das sagte sich so leicht. Die Vorstellung, Joe verärgert zu haben, ließ sich nicht leicht ausblenden. Und was war, wenn es nicht nur Ärger war? Was war, wenn sie ihn verletzt hatte? Joe war hart im Nehmen, aber auch er war verletzlich. Gott, sie wollte ihn nicht verletzen. Sie konnte den Gedanken nicht ausblenden, aber sie musste ihn auf Sparflamme setzen und sich später damit befassen. Joe war ihr zu wichtig. Wenn sie anfing, sich über ihn den Kopf zu

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