Das verlorene Ich
konnten. Nach Bruneaus Geschmack konnte es gar nicht lange genug dauern Blinkende Leuchtanzeigen zeigten die Funktionstüchtigkeit der zahllosen elektronischen Gerätschaften an. Keine Störung, seit dieses Schott vor Jahren verschlossen worden war. Bruneau hatte gehofft, es wäre für immer gewesen. Er war damals dabei gewesen, als sie das amoklaufende Monster gestoppt hatten. Und er war weiß Gott nicht auf eine Wiederholung scharf.
Die Wissenschaftler hatten seinerzeit bei der Fortsetzung ihrer Arbeit zwar versichert, daß das »Nachfolgemodell« kontrollierbar wäre, den Beweis dafür hatten sie jedoch nie erbringen können.
Wenn auch nur mangels Gelegenheit. Zuvor waren die Experimente über Nacht beendet, das »Objekt« buchstäblich auf Eis gelegt worden.
Und da lag es heute noch.
In einer Art durchsichtigem Sarg, in den eine Anzahl von Kabeln und Schläuchen führte, die wiederum mit lebenserhaltenden Systemen verbunden waren.
Bruneau rührte keinen Finger, um Vautier zu helfen, als der damit begann, die Apparaturen neu zu justieren, um den wie schlafend in dem Behältnis liegenden Nackten »aufzuwecken«.
Aber er unternahm auch nichts dagegen.
Und schließlich taten sie beide doch eines gemeinsam.
Warten.
*
Sydney
Feuchte schwarze Erde wölbte sich zu einem Hügel, dessen Kuppe etwa in Liliths Nabelhöhe endete. In dem frisch aufgeschütteten Grund wimmelte es vor Leben. Überall krabbelten Käfer, schlängelten sich Würmer oder war graues, komplexes Myzelgeflecht zu erkennen, das entfernt an ein offenliegendes Gehirn erinnerte.
Aber das waren annähernd natürliche Anblicke, auch wenn der ein oder andere Käfer, der ein oder andere Wurm so monströs wirkte, daß es Lilith schwerfiel zu akzeptieren, daß er überhaupt auf diesem Planeten beheimatet war.
Letztlich aber verblaßte dies alles gegen die Grimasse.
Jene Fratze, die aus nichts anderem als dieser teerschwarzen Erde zu bestehen schien und die sich vor Lilith aus dem Hügel herausbildete, als würde dort aus dem Innern heraus ein wirkliches, vielleicht sogar menschliches Gesicht mit genau dosierter Kraft dagegen-drücken.
Und dann begannen sich auch noch die »Lippen« dieser Sinnestäuschung - was anderes sollte es sein? - zu bewegen, Worte zu formen, die dem Klang nach ebensogut aus einem brodelnden Vulkan hätten kommen können, gemäßigt nur durch den Filter, der auch der Sonne ihr Licht stahl!
»ENDDDLICH .«
Lilith hörte kaum hin. Schon seit der Boden in Bewegung geraten war, hatte sie versucht, vor dem unheimlichen Phänomen zu fliehen.
Es gelang ihr nicht.
Der Boden hielt sie fest! Das harmlos scheinende Gras hatte sich in unzerreißbare Fesseln verwandelt, die sich auch von dem Stoff des Mimikrykleids nicht beeindrucken ließen und sich um Liliths Beine geflochten hatten. Jeder Versuch, sich loszureißen, scheiterte. Lilith hatte sich blutende Wunden zugefügt, als sie im Affekt versuchte, mit bloßen Händen an den Grasschlingen zu ziehen. Ihr Blut, so hatte es den gespenstischen Anschein gehabt, war von den Pflanzenfäden förmlich aufgesogen worden!
Lilith scheute sich nicht, um Hilfe zu schreien. Von der Stelle aus, wo der Alptraum nach ihr griff, konnte sie die Straße wie durch einen lichtschluckenden Vorhang hindurch sehen. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei. Die Scheinwerfer brannten nicht, weil es dort draußen nach wie vor früher Nachmittag war.
Und hier?
Konnten, nur einen Steinwurf voneinander getrennt, zwei unterschiedliche Zeitzonen existieren?
Unsinn!
»ICH WUSSSTE, DASSS DU ZURRRÜCKKOMMMSST ...«
Der Mund aus Erde sprach unbeeindruckt von Liliths Gefühlschaos weiter.
Sie richtete sich auf. Das Kleid hatte sich - wenn auch verspätet -über die Hände ausgedehnt, aber selbst mit diesem Schutz gelang es ihr nicht, sich vom Zugriff der Gräser zu befreien. Außerdem hatte sie ein ganz seltsames Gefühl, dort, wo der Stoff die blutigen Wunden bedeckte. So, als würde er sie nicht nur verschließen, sondern darüber lecken . ..
Lilith schob den Gedanken weit von sich.
(Zungen? Wie sollten Zungen an meine Hände gelangen ...?)
»WO WARSST DU SO LANGE? ICH VERRSTEHE DIE WELT NICHT -«
»Hör auf!« schrie sie. »Wer immer dahintersteckt ... hör auf damit! Wenn du mich zu Tode erschrecken wolltest, es ist dir gelungen, aber nun -«
»WASS IST LOS MIT DIRRR? ÖFFNE DEINE GEDANKEN! WARUM VERBIRGST DU SIE VOR MIR? WAS HAST DU IN URUK ERREICHT? WO IST DER LILIENKELCH?«
Lilith starrte auf das Erdgesicht,
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