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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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diesem Zwecke Bandweiden vom Teiche herauf, wo
Sie mit den Entenhirtinnen Friederike und Minna zusammentrafen und
wohin auch die kleine Anna kurz vor ihrem Verschwinden angelaufen kam?«
    »Ja.«
    »Sie haben mit ihr gesprochen und sie mit sich genommen, um
ihr ein Vogelnest in der Scheune zu zeigen?«
    »Nein.«
    »Sie lügen! Sie haben früher zu Protokoll gegeben, daß die
kleine Anna mit Ihnen nach der Scheune gegangen ist, weil Sie ihr ein
Vogelnest zeigen wollten.«
    »Ein Vogelnest ist viel zu hoch zum Zeigen.«
    »Aber die kleine Anna ist doch mit Ihnen gegangen?«
    »Ja.«
    »Bis in die Scheune?«
    »Nein.«
    »Sie ist nicht mit Ihnen in die Scheune getreten?«
    »Ich habe es nicht gesehen.«
    »Wohin ist sie denn gegangen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Aber vom Teich herauf ist sie mit Ihnen gegangen?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie noch, was sie für ein Kleid anhatte?«
    »Was Rotes.«
    »Und Sie haben auch nicht gesehen, wohin sie gegangen ist, als
Sie aus der Scheune zurückkamen?«
    »Nein, da war sie schon weg.«
    »Wohin weg?«
    »Sie war ja verschwunden.«
    »Was haben Sie denn mit der Hacke gemacht, die Sie an dem
Nachmittag in der Hand gehalten haben, als Ihre Mutter Ihnen begegnete?
Die haben Sie wohl für die Weiden gebraucht?«
    »Für die Weiden kann man nur Messer brauchen.«
    »Wozu haben Sie sie also ein bißchen gebraucht?«
    »Ich habe einen Bettler fortgejagt.«
    »Haben Sie ihn mit der Hacke geschlagen?«
    »Nein. Er lief von alleine fort.«
    »Wo haben Sie denn an dem Abend gesucht, als alle anderen nach
dem Kinde suchten und riefen?«
    »Ich habe nirgends gesucht.«
    »Warum nicht?«
    »Ich habe mit Karl einen Scheiterhaufen gemacht, damit es
leuchtet, das ist besser.«
    »Wollten Sie auf diese Weise helfen, das Kind zu suchen?«
    »Ich weiß nicht«
    »So. Was haben Sie in der Zeit von vier bis acht gemacht?«
    »Mit Güse gearbeitet, zur Vesper habe ich Milch getrunken, dann habe
ich mich ein bißchen gedrückt und habe geschlafen.«
    »Sie erinnern sich genau?«
    »Ja.«
    »Schlafen Sie öfters so am Tage?«
    »Nein.«
    »Warum waren Sie an diesem Tage so besonders müde?«
    »Es war heiß, und ich hatte schwer getragen.«
    »Ach ja, Sie trugen die Weidenruten.«
    »Ja.«
    »Sie haben nun heute in der Scheune Nummer vier, im Fache
zehn, die vergraben gewesene Leiche der Anna B. wiedererkannt?«
    »Nein, das habe ich nicht.«
    »Ach, richtig, ja. Sie erkannten nur das Kleid wieder.«
    »Ja.«
    »Nun sind wir alle überzeugt, daß diese Leiche die
verschwundene Anna B. ist, und daß das Kind am
vierundzwanzigsten Juni vorigen Jahres schon dort in der Scheune von
unbekannten Tätern vergraben worden ist. Sie haben nun zur selben Zeit,
an demselben Ort, dort in der Scheune gearbeitet. Haben Sie gar nichts
bemerkt, einen fremden Menschen, einen Schrei, ein Geräusch, das uns
auf eine Spur lenken könnte?«
    »Nein.«
    »Aber denken Sie doch nach, Sie müssen doch etwas bemerkt
haben.«
    »Güse hat auch nichts gemerkt«
    »Allerdings.«
    »Ja.«
    »Aber Sie haben doch zum Beispiel den fremden Bettler gesehen?«
    »Der war beim Brunnen.«
    »Vielleicht ist er dann zurückgeschlichen, haben Sie nichts
bemerkt?«
    »Nein, er lief ja auch in die Felder, die andern haben ihn ja
auch gesehen.«
    »Ach ja, natürlich, Sie haben sich alles gut gemerkt.«
    »Jawohl.«
    »Und immer die Wahrheit gesagt?«
    »Jawohl.«
    »Dann ist es gut. Nun kannst du gehen, mein Junge, und
brauchst keine Angst zu haben. Und die Hände werden dir auch nicht mehr
gebunden.«
    »Das ist gut, das hat mich auch sehr geärgert.«
    »Du kannst nun ruhig den Leuten erzählen, daß nichts mehr
gegen dich vorliegt.«
    »Jawohl.«
    Der Kommissar brach das Verhör ab und erhob sich. Fritz ging
langsam zur Tür, zögerte noch ein wenig und ging dann hinaus. Er stand
im Flur und sah durch die offene Haustür auf den vom Regen
überschütteten Hof. Der Regen floß in dicken, schweren Tropfen
senkrecht nieder und schlug kleine Wasserblasen auf dem Pflaster. Ab
und zu huschte eine Magd, unkenntlich unter den über den Kopf
geschlagenen Röcken, über den Hof und verschwand in einem der Ställe.
Niemand sah nach ihm hin. Aus der Küche drangen Stimmen. Fremd,
verlassen, feindselig war auch die Heimat. Er dachte, daß er von hier
wieder fortgehen müsse, seine Arbeit war ja nicht mehr hier. Da fiel
ihm ein, daß er das Geld für seine Mutter drinnen auf dem Tisch hatte
liegenlassen, er wandte sich zur

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