Das verlorene Kind
ergänzen«, begann der Kommissar und ließ den Blick
forschend über Fritz gleiten. Er bemerkte mit Freuden auf dessen vollem
Gesicht die Zornesröte, ebenso die von Zorn verdunkelten Augen. »Sie
sind den Weg gelaufen, ich habe Ihnen deshalb einige Erfrischungen
reichen lassen«, sagte er.
»Ich brauche keinen Wein und kein Bier«, sagte Fritz. »Sie
wollen ja doch etwas mit mir machen, Sie wollen mir keine Ruhe lassen,
ich kann aber nichts mehr sagen.«
»Ich habe die Auflehnung nicht verdient,« sagte der Kommissar,
»und außerdem sind Sie gezwungen, auf meine Fragen der Wahrheit gemäß
zu antworten.« Er nahm die Akten zur Hand und wiederholte einige Fragen
des vorigen Verhöres, dann fragte er nach den Äußerungen, die Fritz
seinen verschiedenen Kameraden gegenüber getan hatte: »Die finden sie
wohl nicht mehr« und: »Die haben sie gut verwahrt.«
Doch Fritz schwieg. Auf seiner Zunge lag noch der Geschmack
des bitteren Bieres und ließ seinen Trotz nicht zur Ruhe kommen. Er
dachte an die Arbeit, die er versäumte, er hatte Sorge, daß er die
Stelle verlieren und seinen Lohn einbüßen würde. Er fühlte sich
umstellt von Feinden, doch er fürchtete sie nicht, sondern er
verachtete sie. Er zuckte als Antwort nur geringschätzig die Achseln
und sagte zum Schluß: »Ich weiß nicht. Ich habe alles gesagt. Ich habe
nichts getan.«
Der Kommissar mußte das Verhör schließen. Als Fritz, der sich
ohne Gruß zum Gehen wandte, schon an der Tür war, rief er ihm plötzlich
nach: »Hier sind auch deine Taler, die du in Treuen hast liegenlassen,
deine Mutter will nämlich nichts mehr von dir haben!« Und er warf die
klirrenden Talerstücke auf den Tisch. Mit einem Schlag blieb Fritz
stehen. Doch er wandte sich nicht sogleich um. Sein erbleichendes
Gesicht blieb der Tür zugekehrt. Der Kommissar sah nur das Zucken, das
wellengleich seinen Rücken erschütterte. Plötzliche Stille trat in der
Stube ein, unter den gesenkten Stirnen der Beamten richteten sich
lauernde Blicke auf Fritz. Er kehrte sehr langsam zum Tisch zurück,
unschlüssig und verwirrt griff er nach dem Geld, räusperte sich lange
und würgte endlich die Frage hervor: »Warum denn?«
»Weil sie glaubt, daß du ihr Schande gemacht hast«, erwiderte
der Kommissar vorsichtig.
Darauf sagte Fritz nichts, ergriff das Geld und ging hinaus.
Er wurde mit dem zu dieser Zeit abfahrenden Postwagen ein Stück des
Weges zurückgefahren und kam spät am Nachmittag wieder daheim an. Er
ging in seine Kammer, zog sich um und begab sich sofort an seine
Arbeit. Das Geld hatte er aus der Tasche des Sonntagsrockes
herausgenommen und trug es so lange in der linken Faust verborgen, bis
er es in einem freien Augenblick im Stall verbergen konnte. Er scharrte
mit den Händen in der Ecke die Erde fort und legte in die kleine
Höhlung das Geld hinein. Als er die Erde wieder zugeworfen und alles
geglättet hatte, fühlte er sich plötzlich verloren, gefangen. Sie waren
ihm an die Kehle gesprungen, es mußte etwas mit ihm sein, die Mutter
hatte sie auf ihn gehetzt. Seine Hände zitterten, als er die Erde
glattdrückte, das Stroh wieder darüberschob. Er fürchtete sich. Er
eilte aus dem Stall an die Arbeit, holte die beladenen Wagen von der
Heide, schirrte die Pferde aus und warf ihnen Futter vor. Er erschrak
zu Tode, als er plötzlich den Herrn auf sich zueilen sah. Er wandte
sich ab, suchte zu entfliehen, doch die heisere, knarrende Stimme hatte
ihn schon erreicht. Der Herr blieb dicht vor ihm stehen. Er war über
den Hof gerannt, damit ihm Fritz nicht entkommen sollte, jetzt keuchte
er ihm den hastigen Atem seiner engen Brust aus dem zum Sprechen gierig
geöffneten Mund ins Gesicht: »Na, na, haben sie dich wieder scharf
gehabt?«
Fritz schwieg und wandte seine Blicke in den offenen
Pferdestall zu der Ecke, die nachts sein Lager bildete und wo jetzt das
Geld, von der Mutter verschmäht, verborgen war.
»Na, da muß doch etwas Schweres mit dir sein, wenn sie dir
doch neulich die Hände gebunden haben, was?«
Fritz antwortete nicht.
»So zwei Jahre werden sie dir wohl geben, was?«
Jetzt sprach Fritz. Sein Gesicht war blaß, sanft und sehr
traurig. »Es muß wohl was mit mir sein, sie lassen mir keine Ruhe, sie
wollen was mit mir machen. Der Herr aus Berlin, das ist ein sehr kluger
Herr, Bier hat er mir geben lassen, ich habe auch anderthalb getrunken,
ich bin aber nicht betrunken geworden. Wein hat er mir auch
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