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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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Mutter gegen den Sohn, der für sie sein Geld
sparte.
    »Du hast wohl deine Mutter gern?« begann er nach einer Weile
wieder.
    »Ach ja.«
    »Und sie dich wohl auch?«
    »Na ja.«
    »Hast du ihr nicht einmal irgendeinen großen Kummer gemacht?«
    »Ich weiß nicht, da hat sie mir nie etwas davon gesagt.«
    »So? Sie hat aber sehr über dich geklagt.«
    »Da weiß ich nichts davon, ich habe ihr Geld mitgebracht.«
    »So? Wo hast du es denn? Zeige doch einmal.«
    Fritz stutzte. »Das kann ich nicht«, sagte er.
    »So«, sagte der Kommissar und schwieg.
    »Ich habe es im Hemd«, begann Fritz nach einer Weile wieder.
»Wenn ich einmal in die Ecke gehen darf, kann ich es holen.«
    »Natürlich,« lachte der Kommissar, »das Hemd wollen wir gar
nicht sehen, nur das Geld darin.«
    Fritz stand auf und ging in die Ecke zwischen Wand und
Schreibsekretär, öffnete die Kleider und nestelte das Geld los. Nachdem
er alles wieder an sich geordnet hatte, trat er zum Tisch und legte
drei Taler darauf nieder.
    »Drei Taler!« rief der Kommissar erstaunt aus. »Nein, du bist
wirklich ein guter Sohn!« und er schlug ihm auf die Schulter. Doch
Fritz rührte sich nicht und sah ihn mit ernstem Gesicht mißtrauisch von
der Seite an.
    »Na, was willst du?« sagte der Kommissar. »Ich sehe eben, du
bist ein anständiger Kerl. Du lügst nicht. Wenn du mir das Geld nicht
gezeigt hättest, hätte ich dir natürlich nie mehr was geglaubt. Aber so
sehe ich, daß du die Wahrheit sagst. Nun sage ich dir aber auch die
Wahrheit, du bist nämlich ein bißchen in Verdacht gewesen, aber nun ist
das alles widerlegt, und du wirst mir nur noch ganz klipp und klar auf
ein paar Fragen antworten, die ich dir jetzt amtlich vorlege, und dann
kannst du gehen.« Bei diesen Worten legte der Kommissar Binde, Weste
und Rock wieder an, strich das Haar glatt und setzte sich neben dem
Schreiber an den Tisch. Der Schreiber hatte, durch einen Blick des
Kommissars verständigt, das Protokollieren unterlassen, um die bisher
gestellten Fragen als völlig unverfänglich erscheinen zu lassen. Jetzt
fiel er gierig mit einer bereit gehaltenen Feder über das Papier her,
um das Verhör, das er fest im Gedächtnis hielt, niederzuschreiben. Es
war zwei Uhr mittags. Alle verspürten Hunger. Draußen regnete es
gleichmäßig, ruhig, ununterbrochen. Der Posten an der Tür trat
verstohlen von einem Bein auf das andere. Fritz lachte, als er es
bemerkte. Der Kommissar aber klopfte mit dem Finger auf den Tisch, er
saß plötzlich hochaufgerichtet, streng und unnahbar da, sagte mit
kaltem, befehlendem Ton zu Fritz: »Stehen Sie auf!« und zum Schreiber:
»Fertig?«
    »Jawohl«, antwortete der Schreiber, vollendete schnell eine
Zeile und faltete einen neuen Bogen.
    »Antworten Sie mit Ja und Nein! Sie sind Fritz Karl Martin
Schütt, geboren am 5. Dezember 18 . . in G.
als Sohn des Tagelöhners Karl Schütt und seiner Ehefrau Emma, geborenen
Anton?«
    »Ja.«
    »Sie besuchten die Schule in L., lernten Lesen, Schreiben und
Rechnen?«
    »Ja.«
    »Sie wurden Ostern 18 . . . in der Pfarrkirche L. im
evangelischen Glauben eingesegnet?«
    »Ja.«
    »Sie traten in den Dienst des Domänenpächters Friedrich
Christian B. in Treuen und waren da tätig von
18 . . bis vor einem Vierteljahr, wo Sie in den
Dienst des Bürgermeisters Mandelkow in Plestlin eintraten, in welchem
Dienst Sie sich zurzeit noch befinden?«
    »Ja.«
    »Warum gingen Sie von hier fort?«
    »Ich soll nur ja und nein sagen.«
    »Gingen Sie fort, weil Sie unzufrieden waren?«
    »Nein.«
    »Oder hatten Sie sich etwas zuschulden kommen lassen und
fürchteten Strafe?«
    »Nein.«
    »Der Herr hält sehr auf Ordnung, er war wohl sehr streng?«
    »Nein. Der Herr ist gut. Er ist wie mein richtiger Vater. Ich
habe immer Ordnung gehalten.«
    »Sie haben nie einen Verweis von dem Herrn erhalten?«
    »Nein.«
    »Warum gingen Sie fort?«
    »Der Anton hat mir die Arbeit abgenommen.«
    »Was für eine Arbeit?«
    »Meine Arbeit.«
    »Das verstehe ich nicht. Deshalb geht man doch nicht aus einem
guten Dienst.«
    »Doch.«
    »Ist das die Wahrheit?«
    »Ja.«
    »Am vierundzwanzigsten Juni vorigen Jahres zwischen vier und
acht Uhr abends verschwand das Töchterchen Ihres Dienstherrn spurlos.
Sie waren an dem Tag und zu der Zeit hauptsächlich damit beschäftigt,
dem Dachdeckermeister Güse beim Ausbessern des Strohdaches der Scheune
Nummer vier, über Fach zehn, zu helfen?«
    »Ja.«
    »Sie holten zu

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