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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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verdächtiger Momente gewahr geworden sein wollte, deren Zeuge er
notwendigerweise hätte sein müssen, da die Anna B. in
unmittelbarer Nähe von ihm ermordet und verscharrt worden sein mußte,
und endlich darauf, daß er zu verschiedenen Malen, als man das Kind
noch suchte, die Äußerung getan habe, daß es nicht mehr zu finden sei.
    Die Verteidigung erhob sofort die Einwände, daß der Prozeß
gegen die Zigeuner noch immer nicht geklärt sei, daß die Zeugen, die
das Kind Anna B. lebend bei ihnen angetroffen hatten, noch
immer da seien, und daß es ebenso gut möglich sei, daß die Zigeuner das
von ihnen geraubte und getötete Kind in der Scheune, nahe dem
elterlichen Hause, verborgen hätten, um den Verdacht von sich ab und
auf die Leute von Treuen zu lenken.
    Auf diese Einwände hin wurde das Gutachten der
Sachverständigen verlesen, das bekundete, daß die Leiche des Kindes in
einem Zustand der Mumifizierung statt der Verwesung aufgefunden worden
sei, daß dieselbe also sofort nach dem Tode von atmosphärischer Luft
abgesperrt gewesen sein müsse, wozu der Aufenthalt in der
Abgeschlossenheit des Scheunenraumes an sich schon geeignet sei, noch
mehr aber dadurch, daß die Scheune bald nach dem Verscharren der Leiche
mit Erntefrüchten gefüllt wurde, welche die Luft völlig absperrten und
den Prozeß der Mumifizierung begünstigten. Ein Transport der Leiche von
Seiten der Zigeuner, bei denen das Kind ja noch im August, also zu
einer Zeit, da die Scheune schon geschlossen war, gesehen worden sein
sollte, sei also völlig ausgeschlossen.
    Alle diese Ausführungen, die er allerdings in ihrer
formulierten Ausdrucksweise nicht immer verstand, verfolgte der
Angeklagte mit großer Aufmerksamkeit von Anfang bis zum Ende. In einer
kindlichen Spannung hingen seine Augen an den Lippen der Sprechenden.
Als er unter den Zeugen die beiden Entenhirtinnen erblickte, nickte er
ihnen lächelnd zu. Die Mädchen aber erröteten und wandten ihre
Gesichter fort. Die Verhandlung dauerte an diesem Tage von zehn Uhr
morgens bis drei Uhr mittags.
    Als Fritz in die Zelle zurückgebracht wurde, fragte er den
Wärter, wann es denn morgen wieder losgehe. Er erwartete die
Verhandlungen mit Freude, es erfüllte ihn mit Befriedigung, wenn er im
Saal auf der Anklagebank saß, durch eine Umzäunung von den anderen
Menschen getrennt, deren Nähe er immer geflohen war und sie nun doch
hören und sehen konnte.
    Die zweite Verhandlung dauerte von morgens neun bis
nachmittags fünf Uhr mit einer Pause von zehn Minuten. Auch da ermüdete
der Angeklagte nicht, saß ruhig, unbeweglich da, nur seine Augen
wanderten von einem zum andern. Trotz der großen Lebhaftigkeit, mit der
er alles verfolgte, ließ er sich nie zu einem Ausruf oder einem Wort
hinreißen, sprach nur, wenn er gefragt wurde, und gab die gleichen,
kurzen Antworten dem Staatsanwalt wie dem Verteidiger. Er brach an
diesem Tage einmal in Lachen aus, so frei und herzlich, daß der
Verteidiger sofort als auf ein Entlastungsmoment darauf hinwies. Es war
bei der Vernehmung des Zeugen Mandelkow. Der Vorsitzende fragte den
Angeklagten: »Ist es wahr, daß Sie sich bei der Mitteilung des
Schultheißen Mandelkow von dem Auffinden der kleinen Anna als Leiche in
der Scheune der Domäne verfärbt haben?«
    Fritz richtete seinen Blick erst lange auf den Vorsitzenden,
dann auf den Zeugen, der ihn mit lächelndem Mund unter den tückisch
funkelnden Augen ansah, und sagte langsam, aber übermütig: »Das wird
der Herr wohl wissen, ich weiß es nicht, ich kann mir doch nicht selbst
in das Gesicht sehen.« Und er lachte bei seinen eigenen Worten hell und
kichernd auf.
    Der Vorsitzende fragte weiter: »Ist es wahr, daß Sie in einem
Gespräch mit Ihrem jetzigen Dienstherrn den Kriminalkommissar
verdächtigt haben, Sie betrunken zu machen?«
    »Jawohl, das habe ich gesagt. Er hat mir Bier und Wein geben
lassen. Ich habe vorher erzählt, daß ich nur Milch trinke.« Und mit dem
Finger auf den neben ihm stehenden Kriminalkommissar zeigend, fügte er
hinzu: »Das ist ein sehr kluger Herr!«
    Hier brach im Saal ein allgemeines Gelächter aus, der
Kommissar wandte sich verlegen zur Seite. Der Präsident rief zur
Ordnung und wandte sich von neuem an Fritz: »Sie halten sich nach allen
Aussagen und Beteuerungen für unschuldig, wieso kamen Sie darauf, dem
Zeugen Mandelkow gegenüber zu sagen, daß Sie wohl wüßten, zwei Jahre
seien Ihnen bestimmt? Wofür

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