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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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geben
lassen, aber ich habe wohl gesehen, da war etwas Gelbes dazwischen, da
habe ich nicht getrunken. Ich werde nicht tun, was die wollen. Aber
zwei Jahre, das wird wohl so sein, das werden sie wohl fertigkriegen.«
Jetzt kehrte langsam wieder Röte in sein Gesicht zurück, seine Augen
glänzten, er vermochte nicht aufzuhören mit dem Sprechen: »Aber dann,
wenn die Jahre vorbei sind, wenn ich dann wieder loskomme, dann wird es
schlimm mit mir, das weiß ich schon, da haben sie dann etwas aus mir
gemacht. Die sollen mich lieber in Ruhe lassen, dann ist alles besser
und nichts geschehen. Aber so fordere ich dann meinen Lohn, meinen Lohn
für zwei Jahre und hundert Taler für das Händebinden dazu, die sollen
mich nur lassen!«
    »Gut, gut, fein!« rief der Schultheiß. »So mußt du es machen!«
    »Jawohl, ich lasse mich nicht betrunken machen, sonst kommt da
noch etwas heraus, sonst hätten sie wohl was zu hören bekommen, sonst
hätte ich da was erzählt, ich werde ja doch jemandem Schande machen«,
da brach er plötzlich ab, seine Augen weiteten sich groß und dunkel, er
schien Tränen zu bekämpfen. Der Schultheiß wußte nicht, wie er das
deuten sollte.
    »Na ja, sie haben dich wohl scharf vorgehabt«, wiederholte er
noch einmal den Anfang des Gesprächs.
    »Jawohl, die dachten wohl, ich würde was sagen, aber was die
wissen wollen, weiß ich nicht«, seine Stimme wurde jetzt leise, sanft,
kraftlos. Erschöpft und verwirrt durch seine eigenen Reden ging er
davon. Der Schultheiß sah ihm nach und lächelte, seine Augen funkelten.
Am nächsten Tag fuhr er in die Kreisstadt und gab als Zeuge dieses
Gespräch zu Protokoll.
    Zwei Tage nach dem Zeugenverhör seines Dienstherrn wurde Fritz
Schütt, als des Mordes an der kleinen Anna B. verdächtig,
verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis nach Gr. gebracht. Zwei
Gendarmen scheuchten ihn vor Tagesanbruch von seinem Lager im
Pferdestall auf, nachdem der Schultheiß sie listig erst in der
Knechtskammer, dann im ganzen Hause nach ihm hatte suchen lassen. Fritz
blieb vollkommen ruhig, zog seine Hose an und bat nur, am Brunnen sich
noch waschen zu dürfen. Er streifte sein Hemd herab und wusch sich
Schultern, Brust und Rücken, die voll und weiß in dem frühen Morgen
leuchteten. Dann bat er noch um seine Schuhe, nach denen der Gendarm
eine Magd schickte, die ihm aus seiner Kammer außerdem noch einen Rock
und ein zweites Hemd mitbrachte, das sie ihm mit mitleidigen Blicken
reichte. Als sie schon zur Haustüre hinaus auf die Straße getreten
waren, rief aus einem ebenerdigen Fenster, halb versteckt hinter der
Gardine, der Schultheiß nach Fritz. Fritz trat an das Fenster heran;
der Schultheiß beugte sich vor, sein Hemd öffnete sich und ließ seine
schmale, knochige Brust sehen; er streckte seinen langen, zarten Arm
aus und drückte Fritz einen Taler in die Hand, die er mit seiner
kleinen feuchten Hand fest umschloß. Er reckte seinen Kopf vor, brachte
seinen stark atmenden Mund mit dem stachligen, langhaarigen Bart nahe
an Fritzens Ohr und flüsterte ihm zu: »Mach's gut, laß dir nur nichts
anhaben!« Dann gab er ihm plötzlich einen Stoß gegen die Schulter, daß
Fritz taumelte. Die Gendarmen nahmen ihn in die Mitte, und sie gingen
die Straße hinab. Fritz blinzelte unter gesenkten Lidern hervor auf die
Häuser zu beiden Seiten, ob viele Leute nach ihm sähen. Aber es war
noch früh, drei Uhr morgens. Nur zwei Frauen gingen vor ihnen her,
gebeugt unter schwer gefüllten Tragkörben, und mit langsamen, schweren
Schritten bewegten sie ihre dicken, faltigen Röcke im Schwunge hin und
her. Der Morgenhimmel war verhangen von Wolken. Luft und Erde waren
feucht, denn Regen war die ganzen Tage niedergegangen und hatte die von
der Hitze dürr aufgeschossenen Ähren der Felder nach und nach zu
fauligem Braun verfärbt. Die drei Männer mußten bis nach L. wandern,
von wo sie Post bis zum Ziel nehmen konnten. Fritz schritt ruhig dahin,
die Augen auf den Boden gesenkt, auf seinem Gesicht war der Ausdruck
kindlicher Versonnenheit. Sein Herz war von tiefer Trauer erfüllt. Er
fühlte die Welt, in die er mit blindem Vertrauen sein Leben
hineingelebt hatte, dieses Paradies, das ihn getragen und geborgen
hatte, alles fühlte er versinken. Aus seinem Schlaf war er gerissen,
von seiner Arbeit fortgetrieben, von der Heimat und der Mutter
verlassen, sein Lohn war geraubt, alles war in Feindschaft gegen ihn
gestellt. Still,

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