Das verlorene Kind
eigenen Blutes waren, die das Verborgenste in ihm trafen, von dem er
selbst noch nicht gewußt hatte, sie waren der erste glühende Funken,
aus dem jene Flamme erstand, die dieses schwarze Blut, diesen
mörderischen Schoß und sein böses Zeugen ausbrennen sollte, die nach
und nach diese Seele erleuchten sollte bis zu der Erkenntnis ihrer
selbst.
Sein erstes Empfinden war Furcht. Die Mutter wollte die
härteste Strafe für ihn, er war verloren. Nie würde es wieder werden,
wie alles einmal war, die Strafe mußte er auf sich nehmen. Er stand in
der vom hellen Mondschein der klaren Winternacht erhellten Zelle. Er
wandte sein Gesicht dem weißen Gestirn zu, das groß und nahe vor dem
Gitter des Fensters schwebte, wie ein zweites Gesicht, von Gebirgen wie
von Narben durchzogen, ihm zugewandt. Vor diesem Gesicht entkleidete er
sich. Langsam nestelte er die Kleider auf und ließ sie von sich zu
Boden fallen. Als er im Hemd stand, raffte er es schnell zur Höhe,
zeigte seinen Leib. Alles blieb ruhig. Still und schön blieb das
silbern schwimmende Antlitz des Mondes, und doch vermochte er nicht,
seinen Blick vom Himmel loszureißen und zur Tiefe seines entblößten
Leibes zu senken. Er ließ das Hemd langsam wieder fallen, er fühlte
Frost und kroch unter die rauhe Decke der Pritsche. Schnell erwärmte er
sich und schlief ein. Er war noch völlig vom Schlaf verwirrt, als der
Wärter ihn morgens weckte, und lachte während des Ankleidens vor sich
hin. Doch als er zu sich kam, wurde er ernst und still, er dachte an
die Strafe.
Um acht Uhr begann die Verhandlung. Er hörte diesmal kaum zu,
wartete nur darauf, seine Mutter wiederzusehen. Von ihr erwartete er
die Strafe. Doch es wurden nur die Zeugen nochmals vernommen, die das
Kind Anna B. bei den Zigeunern gesehen hatten, bis sich der
Richter in ausführlichen Erklärungen dafür entschied, daß diesen
Zeugen, nach der gegebenen, im besten Falle doch unsicheren Art aller
Rekognitionen nach Bildern und Erinnerungen, weniger Glauben zu
schenken sei als jenen Zeugen, welche die Leiche der Anna B.
und ihre Kleider rekognosziert hatten. Dann folgten die über Stunden
sich ausdehnenden Plädoyers des Staatsanwaltes und des Verteidigers
über Für und Wider der Schuld. Um sechs Uhr abends erkannte das Gericht
auf Grund vorliegender Tatsachen und Beweise: daß der Angegeklagte
Schutt am 24. Juni die Anna B. mit Vorsatz und
Überlegung getötet habe und deshalb wegen Mordes zu der gesetzlich
höchsten Strafe, nämlich zu fünfzehn Jahren Gefängnis, verurteilt
werde. In einer zweistündigen Ausführung begründete der Vorsitzende das
Urteil. Die Milde der Strafe wurde damit erklärt, daß der Angeklagte
bei Begehung der Tat sein achtzehntes Lebensjahr noch nicht erreicht
hatte. Das Publikum nahm, erschöpft durch die lange Dauer der
Verhandlungen, das Urteil ohne ein besonderes Zeichen von Erregung oder
Teilnahme auf. Nicht anders auch der Angeklagte. Ruhig und gleichmütig
erhob er sich, um den Saal zu verlassen, als plötzlich sein Dienstherr
Mandelkow dicht vor ihm auftauchte und mit lauter, pfeifender Stimme,
doch in beschwörendem Ton rief, daß es alle hören konnten: »Nun rede
doch, sage es ihnen doch! Es kann doch nichts mehr geschehen! Sage
ihnen doch, daß du es getan hast!« Noch ehe der Vorsitzende zur Ruhe
rufen konnte, war schon der ganze Saal verstummt, aller Blicke auf den
Angeklagten gerichtet. Fritz sah den Dienstherrn ruhig und scharf mit
seinen hellen Augen an, senkte seine Hände in die Taschen und sagte
laut und langsam: »Ich kann nichts sagen. Ich habe nichts getan!« Er
drehte sich um, seinen Weg nach der Zelle anzutreten; in einem
lebhaften Tumult erhoben sich die Stimmen der Bestürzung oder der
Empörung, die seine Worte hervorgerufen hatten, hinter ihm.
VIII
Als Fritz in seiner Zelle angelangt war, überfiel ihn
plötzlich tiefe Müdigkeit. Er vermochte nicht mehr seine Kleider
auszuziehen, ehe er sich auf das harte Lager niederließ. Aber schlafen
konnte er nicht. Er dachte daran, daß seine Mutter heute nicht gekommen
war, und er dachte an die Strafe. Totgeschlagen wurde er nicht, obwohl
es die Mutter so gewollt hatte, aber man würde ihn sicher ins Zuchthaus
bringen. Da würde man ihn wohl mit Ketten umschnüren, er würde nicht
mehr gehen können, nicht sich bewegen können, nicht sich in einem
Winkel verstecken können, wenn er sich danach sehnte, man würde ihn
wohl mitten an eine
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