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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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Aber sie kehrte
zurück. Hatte der Vater einst den Sohn in trübem, unmenschlichem
Verlangen gezeugt, die Kraft der Mutter, deren gutes, reines Blut das
Kind genährt, deren Schoß es geboren hatte, stieß ihn jetzt zum zweiten
Male aus dem brütenden Schlaf der bewußtlosen Seele in schmerzendes
Erwachen, aus dunkler Verborgenheit gebar sie ihn zum zweiten Male zu
Tag und Leben.
    In Dunkelheit, in Einsamkeit bis in den Schlaf hinein hatte
der Mörder sich bis jetzt gehalten, er vergaß sich noch in Arbeit,
Singen, in dem Auf- und Abwandern in der Zelle, in Lachen und trotzigen
Gedanken, in schönen Gebeten, in Schlaf und Traum. Kam aber nebelhaft
fern die Erinnerung an den Traum, in dem der Mutter entsetzlich
zerschnittenes Gesicht aufgetaucht war, nicht aus dem Herzen, nicht aus
den Gedanken, sondern unter den immer verhüllten Orten seines Körpers
hervor, überfiel ihn Furcht, Furcht vor sich selbst. Er ward sich
selbst zum Schrecken. Krampfhaft hielt er sich bedeckt vor sich selbst,
wandte stets sein Haupt zur Seite, schloß die Augen, wenn er seinen
Körper entblößen mußte. Er hatte sich hartnäckig geweigert, an den
Sonnabenden in das allgemeine Bad zu gehen. Trotzdem diese Weigerung
auffallend war, da die meisten Gefangenen gern diese Badegelegenheit
benutzten, um sich eine Stunde in Freiheit zu fühlen, nackt und
fröhlich miteinander umherzulaufen, sich gegenseitig zu necken oder zu
quälen, kam man dieser Weigerung des Gefangenen ohne Widerspruch nach,
da man eine Isolierung in Anbetracht seines besonderen Falles für gut
hielt. Er bekam an den Badetagen eine hölzerne Wanne mit lauwarmem
Wasser in die Zelle geschoben. Er entkleidete sich mit geschlossenen
Augen, mit fest zusammengepreßten Lippen und angehaltenem Atem, damit
er nichts sähe, nichts fühle von sich selbst. Er wickelte das Tuch, mit
dem er sich wusch, wie einen Handschuh um seine Hand, damit er sich
nicht selbst berühre. Beim An- und Auskleiden des Abends und des
Morgens beeilte er sich, aus den Kleidern sofort unter die Decke zu
kommen, und beim Erwachen griff er wieder unter der Decke hervor nach
den Kleidern. Beim Einschlafen legte er die gefalteten Hände auf die
Decke und hielt sie da, trotzdem sie in der Kälte der Zelle bald
erstarrten. In der Nacht, erweckt vom Schmerz des Frostes, zog er sie
wohl in die Wärme unter die Decke, aber er barg sie in die Wölbung
zwischen seinem Rücken und der harten Matratze des Lagers. So, von sich
selbst gefesselt, auf doppelt hartem Lager liegend, hatte er nicht mehr
den alten tiefen, traumversunkenen Schlaf der Bewußtlosigkeit, sondern
nur einen leichten, dünnen Schlaf, den Schlaf der Erweckung. Es kamen
nicht mehr die dumpfen Mahnungen der Träume, es kam nach und nach der
klare Brand der Gedanken. Er dachte zuerst an seine Arbeit, er dachte
sich ein neues Muster aus, in dem er die dünnen Rohrfäden der Stühle
flechten wollte, einen neuen Stern, von einem Kreise umlaufen. Dann
dachte er plötzlich an den Vater, er hörte den wilden, bösen Ton, mit
dem jener auch über die Mutter gesprochen hatte, er dachte an Vater und
Mutter zugleich und begriff, daß er ihrer beider Kind sei, daß der
Vater ihn gezeugt, die Mutter ihn geboren hatte. Nun dachte er an die
Geburten der Tiere in Treuen, und in nebelhafter Vorstellung erblickte
er die Eltern in ihrer Umarmung, er sah den Vater mit mächtigen Knien
lastend auf der Mutter, deren Antlitz er sich fest an die Erde gepreßt
vorstellte. Aber des Vaters riesiges, fahles Gesicht sah er
triumphierend erhoben, ausgeweitet vom Lachen. Dann aber ging die
Mutter wieder in ihrer ruhig wandelnden Gestalt, mit ihrem weißen,
sanften Gesicht über den Hof in Treuen. Kindheit und Heimat tauchten
auf, das Haus in Treuen, die Söhne, die Frau, der Herr. Der Gedanke an
den Herrn hielt ihn fest. Der Herr war sein Vater gewesen, die ganzen
Jahre, die er bis jetzt gelebt hatte. Er dachte an den Herrn
Christian B. und die Frau, er wollte sich vorstellen, wie sie
sich umarmt hatten, doch nie hatte er von dem Herrn jenes Lachen
gehört, nie ihn sich so niederkrümmen sehen, wie er den Vater vor sich
sah, der ihn gezeugt hatte. Der Gedanke an den Herrn, die Erinnerung an
seine hohe Gestalt, menschlich und edel gestrafft, an sein keusches,
verhangenes Gesicht, beugte ihn. Er glaubte, ihm zu gehorchen, als er
die kommenden Tage ruhiger, fleißiger und stiller sich verhielt. Er
fragte nie nach seiner

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