Das verlorene Kind
Arbeit auf und rückte den
Schemel wieder an seinen Platz. Dann besah er seine Hände, sie waren
von nun schon verhärtetem Blut und Schmutz bedeckt. Scham und
Keuschheit hatte ihn verlassen, er sah ruhig nieder auf sich selbst,
während er über dem bestimmten Gefäß seine Notdurft verrichtete, in
deren Strahl er Blut und Schmutz der Hände abwusch, um ja nichts in der
Zelle zu besudeln. Denn ein Rest jener alten, erschütternden Sehnsucht
»es muß Ordnung sein« regte sich auch jetzt in ihm. An seinem Hemd
trocknet er sich ab und ordnete seine Kleider. Er nahm seine Arbeit
auf, hielt sie aber untätig in den Händen, in deren zerschnittenen
Anblick er sich versenkte.
Er fiel von diesem Tage an in tiefe Traurigkeit Er arbeitete
wenig, nie sang er mehr. In jeder Nacht träumte er von Mord. Zwar war
sein entsetzensvolles Wissen um sich, um das Furchtbare in ihm, so tief
in seine Seele eingeschlagen, daß er selbst in diesen Träumen Gestalten
nicht zu sehen wagte. Aber er fühlte sich morden: er fühlte sein
lustvoll erregtes Blut, seine Glieder leicht, getragen von fremder
Kraft, und in seinen Händen hielt er gefangen weiche, schmeichelnde
Leiber, zart und warm anklopfend an das Innere seiner Hände, sein Herz
auflockend zu wildestem Sturm, und er drückte zu, tötete unsichtbares
Leben, erstickte klopfend gefühlte Herzen, tot war die ganze Welt,
nichts rührte sich mehr, er aber ward nun schwer, zur furchtbaren Last
sich selbst, die Erde trug ihn nicht mehr, sie tat sich auf, Schlamm
gluckste träge unter seinen Füßen, er sank ein, löste sich auf, ward
eines mit den schweren, schwarzen Wellen des Morastes.
Schwer erwachte er des Morgens, bleich und mager wurde sein
weiches Gesicht, trübe blickten seine lichten Augen. Der Wärter
bemerkte seine Traurigkeit, er teilte es dem Geistlichen mit, der zu
hoffen begann, daß des Mörders Gewissen doch erwacht sei, daß er
bereuen und gestehen wolle. Aber er fand ihn in sonderbarer Weise
verstockt und seinen Worten ganz unzugänglich. Nicht nur, daß er jede
Ermahnung, die seine Tat betraf, mit teilnahmslosem Stillschweigen
überging, jetzt sang und betete er auch nicht mehr wie früher mit dem
Pfarrer mit. Er öffnete wohl den Mund, denn nicht aus Trotz kam sein
Widerstand, sondern daher, daß sein Wesen im Innersten gebrochen war,
doch er brachte keinen Ton, kein Wort hervor. Seine Blicke irrten
schräg gesenkt am Boden entlang, Hände und Füße waren unaufhörlich in
unruhvoller Bewegung.
»Warum faltest du die Hände nicht?« fragte der Pfarrer sanft,
das Gebet nach der ersten Bitte des Vaterunsers abbrechend. Fritz sah
auf seine Hände, die hin- und herzuckten, und schwieg.
»Willst du nicht mehr zu Gott beten?«
Fritz nickte mit dem Kopf. Auf seiner Stirn flammte plötzlich
glühende Röte auf.
»Kannst du nicht beten?« fragte der Pfarrer wieder.
Fritz zuckte die Achseln.
»So will ich für dich beten, höre nur zu«, sagte der Pfarrer,
schlug sein Andachtsbuch auf und las leise, wie für sich sprechend, ein
einfaches Gebet um Andacht des schwachen Herzens und um Erlösung für
reuige Sünder, und als er das Buch zuklappte, fügte er aus eigenem
Antrieb noch die Bitte hinzu: »Herr, mein Gott, erbarme Dich seiner
Missetat, erbarme Dich, erbarme Dich seiner verlorenen Seele. Amen.«
Als er den andächtig gesenkten Blick erhob, da sah er, wie unter der
gleichfalls geneigten, von Röte durchwölkten Stirn des Gefangenen still
und lautlos Tränen zu Boden fielen. Die Hände waren nicht gefaltet,
aber beruhigt war ihr Zucken, und das Scharren der Füße hatte
aufgehört. Der Pfarrer trat auf ihn zu, legte seine Hand auf das lichte
Haupt des Mörders und sagte: »Gott ist mit dir, er ist dir gnädig, ich
weiß es.« Und selbst erschüttert, verließ er die Zelle.
Tags darauf wurde Fritz angekündigt, daß am nächsten Morgen
seine Verhandlung vor dem Appellationsgericht begänne und er in der
Frühe schon abtransportiert werden würde. Er erschrak sichtlich, wurde
weiß bis in die Lippen. »Na, laß gut sein,« sagte der Wärter, »du hast
es ja so gewollt, das geht auch vorbei.« Fritz sagte darauf nichts und
nahm seine Arbeit zur Hand. Doch am Mittag fand ihn der Wärter untätig
sitzend, die Hände fest in die scharfen Rohrfäden verstrickt, die an
den Ballen und den fleischigen Außenrändern Schnitte wie von scharfen
Messern eingruben.
»Was machst du nur? Jetzt hast du dich schon wieder
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