Das verlorene Kind
Ebene seines Rückens, erhoben über die große
Ebene ringsum, war eine Laube errichtet unter einem mächtigen, von
weitem schon sichtbaren Lindenbaum. Hier saßen im Sommer die Frauen und
verrichteten die leichteren Arbeiten des Haushaltes, oder ruhten hier
am Abend, die Hände in dem Schoß übereinandergelegt, und sahen mit den
müden, von vielem Leid erloschenen Blicken auf die weite Ebene, die im
Hauche der Dämmerung versank. Am Tage grasten und spielten die Ziegen
und die jungen Lämmer auf dem Hügel und sprangen auch übermütig in das
Wiesental hinab, in das der Hügel auf der dem Hause abgewandten Seite
auslief; sie kehrten jedoch meist bald zurück, denn der Wiesenstreifen
war lang, aber nur schmal, bot nicht viel Raum zu Sprüngen, auch
grenzte er an einen klar strömenden breiten Bach, dessen Ufer im
Bereich des Anwesens von sichernden Holzplanken eingefaßt waren, über
die gebeugt die Frauen ihre Wäsche spülten. Die Felder, bestehend
zumeist aus Weizen- und Haferfeldern, außer dem großen Kartoffelfeld,
umgaben in einem weiten Rechteck die beiden noch freien Seiten des
Hügels. Das Haus hatte nach der Landstraße zu seinen kleinen mit grauem
Kies überschütteten Hof, in dessen Mitte wieder der Brunnen stand, wie
in Treuen einst, mit einem schönen, weitauslaufenden Wassertrog
versehen. Rechts seitlich vom Haus, mit der Schmalseite ebenfalls an
den Hügel grenzend, stand der in einem weiten Viereck gebaute Stall,
der mit einer Dachscheuer versehen war, und tiefer in das Feld gerückt
eine zweite große Scheune mit Dreschtenne, aus massivem Mauerwerk
erbaut und mit einem Tor verschlossen, dessen Flügel beim Öffnen auf
Schienen in die Mauer eingeschoben wurden. Im Stall standen nur zwei
Kühe, ein Ochse, zwei braune, halbschwere Pferde. Größer war die Zahl
der Kleintiere, die der Ziegen und Lämmer besonders, und die Herde des
Geflügels. Der Gewinn der Wirtschaft wurde gezogen aus den natürlichen
Produkten, aus dem Verkauf von Getreide, Milch, Butter, Eiern, aus der
Wolle der Schafschur, doch wurde kein Handel mit Schlachtvieh mehr wie
früher getrieben. Auch auf dem Hofe selbst wurde nach der Angabe des
Herrn nicht mehr geschlachtet, außer hier und da einem Huhn, und das zu
Fest- oder Erntetagen unbedingt nötige Fleisch wurde an den Markttagen,
an denen die eigenen Produkte verkauft wurden, selbst gekauft. In allen
anderen Zutaten aber waren die Mahlzeiten reich und kräftig. Das
Gesinde bestand aus zwei jungen Knechten und einer Magd, die einäugig,
aber ungewöhnlich kräftig und flink war.
Das Wohnhaus, im Viereck erbaut, glich in der Anordnung dem in
Treuen. Zu ebener Erde wurde es durch einen vom Eingang zum Ausgang
durchlaufenden, breiten und hellen Flur in zwei gleiche Teile geteilt;
von der Hofseite aus rechts lag die geräumige Küche, welche wie in
Treuen mit Herd, Tischen und Bänken zu den gemeinsamen Mahlzeiten
diente, und auf der gegenüberliegenden Seite des Flures war das Zimmer
des Herrn.
In diesem Zimmer befanden sich: eine einfache Lagerstatt,
Waschgeräte, vor dem Fenster der Schreibsekretär, neben ihm, der Tiefe
des Zimmers zu, sein Schrank mit den Büchern der eigenen Schuljahre,
neben denen jetzt auch die Schulbücher der Kinder standen und die
Heilige Schrift. Kein Tisch war zu sehen, die Kleider hingen an Haken
in einer Ecke, unter einer Gardine verborgen. Drei Stühle standen in
einer Reihe an der Wand neben der Tür, über ihnen hingen die zwei
Flinten und die große Pistole. Es gab kein Bild, keinen Spiegel. Obwohl
zarte, weiße, sorgfältig aufgesteckte Gardinen vor den Fenstern waren
und eine blankgeputzte, mit einem rosafarbenen Schirm aus dünner Seide
umhüllte Lampe auf dem Bücherschrank stand, eine Uhr mit ebenfalls
blitzendem, weitausschwingendem Pendel tickte, erschien das Zimmer wie
eine unbewohnte Zelle. Sein Bewohner suchte es auch nur abends auf, um
einsam und müde auf das schmale Lager zu fallen, und verließ es früh
morgens wieder für den ganzen Tag. Nur an den Sonntagen betrat er es
auch nachmittags auf einige Stunden, setzte sich vor den aufgeklappten
Schreibsekretär, um zu rechnen und zu schreiben.
Klara und Emma ordneten und betreuten dieses Zimmer mit
versteckter Fürsorge, rafften die Gardinen in ihre feinen Falten,
putzten die Lampe und regulierten die Uhr, legten von Zeit zu Zeit
stillschweigend auf das Fensterbrett ein Stück besonderen Gebäcks oder
die Erstlinge der
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