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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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alle aber waren erschöpft von der Glut des Tages.
Plötzlich stand nun das Gewitter über ihnen, schwarz, drohend,
unbeweglich. Kein Blitz zuckte, kein Donner dröhnte, kein Wind wehte,
kein Regen fiel. Es war dunkel, still, kein Atem mehr in der Welt Einer
blickte dem andern in das fahl angeleuchtete Gesicht. Langsam standen
sie vom Tische auf. Lange schwiegen alle. Es wurde noch finsterer, die
Gegenstände der Küche verschwanden, durch das Fenster war nur noch in
einem Umkreis von hundert Schritten etwas zu sehen, rechts noch ein
Streifen Wiese, in der Mitte der Brunnen, und links, von einem fahlen,
durchbrechenden Schimmer Lichtes gelb angeleuchtet, die Scheunenwand
von Nummer vier mit dem weitgeöffneten Tor.
    Jetzt begann ein Wind zu kreisen, leise, wie schleichend,
rückte er gegen die Fenster, raschelte in den ausgetrockneten Kronen
der Bäume, eine Tür im Hause schlug krachend zu, einige Augenblicke
lang war auch plötzlich das Brüllen des Viehes, das noch auf der Weide
war, zu hören. Dann war es wieder still. Der Wind raschelte wieder auf,
kraftlos, heiß, träge, aber stetig, er schleifte Staub und verdorrte
Erde, welke, braun verbrannte Blätter, die vorzeitig von den Ästen
gefallen waren, mit sich. Alle warteten, die Frauen mit gefalteten
Händen, die Männer mit geducktem Nacken, auf den ersten Blitz und
Donnerschlag. Nach so langer Hitze und Trockenheit mußte es ein
schweres Gewitter werden. Aber es blieb still. Der Wind schlich und
raschelte um das Haus, es wurde völlig Nacht, es roch nach Schwefel und
Brand.
    »Mach doch Licht, Emma«, schrie aus der Stille heraus Minna,
die kleine Entenhirtin, mit vor Angst bebender Stimme.
    »Um Gottes willen, kein Licht! Wenn bei dem Wind etwas
passiert, brennt alles wie Zunder. Wir können ja nicht einmal löschen«,
sagte Blank.
    »Nein, kein Licht,« sagte auch Emma, »der Herr hat es
verboten.«
    Wieder schwiegen alle. »Ich habe so ein Gewitter noch nicht
erlebt,« sagte Blank wieder, »man kann ja nicht atmen.« Alle seufzten
auf, ein jeder aus der beklommenen Brust.
    »Es war zu lange trocken. Jetzt müssen wir im Dunkeln stecken
am hellen Tage, wie die Kinder im Keller, wenn sie unartig waren«,
versuchte Anton zu scherzen. Doch niemand lachte. »Vielleicht regnet es
doch noch«, sagte ein anderer. »Es will nicht losgehen«, sagte Blank.
Sie konnten ihre Gesichter gegenseitig nun nicht mehr erkennen, aber in
ihren Stimmen verrieten sich ihre Erregung und ihre Angst Sie schwiegen
wieder und atmeten schwer. Die kleine Entenhirtin, im Dunkeln an Emma
geschmiegt, betete leise das Vaterunser. Alle hörten das Flüstern des
Kindes in der Stille, neben dem Rascheln des Windes. Stumm bewegten
sich die Lippen der Frauen mit im Gebet, und die Männer senkten die
Köpfe. So blieben sie während einer Stunde. Nach und nach hatten sie
wieder angefangen zu sprechen, stockend, und immer noch den ersten
Donnerschlag erwartend, oder den Sturm und den Regen.
    »Ja,« sagte Blank endlich, »es muß einer nach dem Vieh sehen.«
    »Warum treibt denn Gahl nicht ein?« fragte Anton unwillig.
Keiner wollte gehen.
    Da ertönte plötzlich, unsichtbar aus der Ferne, hinter der
Dunkelheit der Wolken her, das Bellen des Hundes, das aufgeregte
Brüllen der Rinder, das Blöken der Schafe, das Stampfen der Pferde,
dann Rädergerassel.
    »Das sind Räder, das ist der Herr!« rief Emma und stürzte zur
Tür.
    In der fahlen Dämmerung, die weder Licht noch Finsternis war,
wälzte sich die Herde wie grauer Schatten auf den Hof zu. Sie irrte
durcheinander, die Pferde stampften auf und scheuten vor den Ställen,
die Ochsen senkten die Köpfe und drohten mit den Hörnern. Gahl, der
Hirt, führte den Wagen des heimgekehrten Herrn, während dieser, die
lange Peitsche schwingend, die hin und her rasenden Tiere
zusammentrieb, sich an die Hälse der aufbäumenden Pferde hing, sie
herumriß und in die Ställe führte, wo sie aufwiehernd still standen.
Angefeuert und ermuntert durch das Beispiel, ja nur durch die Gegenwart
des Herrn, stürzten nun auch die anderen herbei, und unter einem
ungeheuren Tumult der entsetzten Tiere wurde endlich die Herde
geborgen. Der Wind kreiste noch immer, die heiße, trockene Luft
erstickte den Atem. Keuchend, in Schweiß gebadet, kehrten alle vom Hof
zurück. Schweigend, ruhig und vorsichtig schlug der Herr Feuer und
zündete die Lampe an. Aber sie brannte trübe, ohne Strahl, wie erstickt
von

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