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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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Himmels, gewaltsam sich durch die
Ränder der nebeneinander lagernden schwarzen Wolken drängend, umgab sie
mit einem schmalen weißen Saum. Das graue, verdorrte, von den Wolken
überschattete Antlitz der Erde wurde sichtbar. Der Wind hatte sich
gelegt, und schreckliche Stille herrschte ringsum. Kein Hahn krähte,
kein Vogel schien zu erwachen, von den Ställen her kam kein Laut. Als
Christian, der bewegungslos am Fenster gestanden hatte, einen Schritt
zurücktrat, erschrak er von dem dumpfen, weithinhallenden Geräusch, das
er erweckte, das in der Stille erklang wie in einem unterirdischen
Gewölbe. Die Hitze drückte, Schweiß rann in Strömen an ihm nieder. Er
hatte gehen wollen, um die Leute zu wecken, doch nun stand er wieder
unbeweglich, gebannt durch die Stille, er lehnte sich an das Fenster,
und plötzlich von Müdigkeit überfallen, schlief er stehend ein.
    Als er erwachte, schlug die Uhr im Wohnzimmer sieben. Die
Wolken waren fort, eine glühende Sonne stand am blendenden, weiß
überhauchten Himmel. Die Erde war trocken, die Luft heiß, unerquickt
alles. Sein Mund war wie ausgedörrt, Durst quälte ihn, er konnte nur
schwer die Zunge bewegen, als er Emma rief, die schlafend noch auf dem
Stuhle saß. Sie erwachte, riß die Augen auf und starrte in die von
Licht erfüllte Küche.
    »Das Gewitter ist fort,« sagte Christian, »es hat nicht
geregnet.«
    »Die Sonne ist schon so hoch,« sagte sie erschrocken, »wir
haben alle verschlafen«, und mit den Händen ihr Haar glatt streichend,
lief sie zum Gesindehaus hinüber, wo ihr schon die Stallknechte
entgegenkamen, müde und zerschlagen von dem lähmenden Schlaf dieser
Nacht. Die Ställe wurden geöffnet, die Tiere schossen heraus, die
Hühner wälzten sich sofort in dem trockenen Staub der Erde, die Schafe
drängten sich um den Trog des Brunnens und fuhren zurück, als sie mit
den zarten Mäulern den trockenen, glühend heißen Stein berührten. Sie
wurden sofort abgetrieben und zur Weide geführt, wo der Hirt eine
verborgene Quelle noch wußte. Ein Wagen mit einer Wassertonne wurde
angespannt und folgte der Herde, um noch etwas Wasser für den Hof
herbeizuschaffen. Barfüßig, mit nackten Gliedern unter den weiten
Röcken, nur den Kopf noch eingebunden in ein weißes Tuch, liefen die
kleinen Entenhirtinnen hinter ihrer Herde her, die sich schreiend in
das trübe, flache Wasser des halb ausgetrockneten Teiches warf. Im
Hofe, am Brunnen, wurde mit Mühe etwas Wasser in einem dünnen,
kraftlosen Strahl für die Menschen und die Pferde zusammengepumpt. Die
Tauben umkreisten die tränkenden Pferde und fingen im Fluge die
versprühenden Tropfen auf, ehe sie auf die Erde fielen. Von den Bäumen
zitterten die braun verbrannten Blätter nieder auf braunes, verdorrtes
Gras oder auf die glühende, grau staubende Erde, die Früchte hingen
klein und verkümmert in den kahlen Zweigen, die Felder, hoch und
spärlich im Halm, wimmelten deutlich von Millionen Ungeziefer. Der
Himmel war weiß, flirrend von Licht und Glut, an den Horizonten ohne
Grenzen, die Luft erfüllt von Brandgeruch.
    Mit gespanntester Aufmerksamkeit wurde auf dem Hofe alles
beobachtet und vermieden, was Feuersgefahr bringen konnte. Der Herr
stieg selbst mit dem Wirtschafter auf die großen Heuböden, wo das Heu
aufgelockert, das noch etwas feuchte Innere nach außen gekehrt wurde,
damit es sich nicht von selbst entzünden konnte.
    Gegen zehn Uhr kam ein Postbote, er brachte gute Nachricht von
den Söhnen und die Nachfrage des Käufers nach der gedroschenen Ernte.
Von der Scheune Nummer vier kamen aber schon die Takte der Drescher,
wenn auch nicht so kräftig wie sonst, so doch gleichmäßig und
unermüdlich.
    In dem Helldunkel der offenen Scheune standen die vier Männer
und droschen. Nur mit Hemd und Hose bekleidet, eine Mütze auf dem Kopf,
hoben sie in langsamen Abständen voneinander die Dreschflegel und
ließen sie niederfallen. Schweiß, verklebt mit dem Staub der Spreu,
überzog ihre Gesichter und durchfeuchtete das schwere, graue Leinen
ihrer Hemden. Die Hitze in der Scheune war betäubend. Die Augen quollen
ihnen in den Höhlen auf, das Blut preßte sich mit Zentnerschwere durch
die Stränge ihrer Adern, die sichtbar auf den harten Muskeln ihrer Arme
und in den Falten ihrer rotgebrannten Hälse aufsprangen. Aber sie
hämmerten weiter, ohne Gedanken, die Arbeit mußte sein.
    Paula, die junge Magd, kam und ging und trug ihnen die Garben

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