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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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giftiger Luft, flackerte leise vom heißen, raschelnden Wind bewegt,
unheimlich war ihr Anblick in der fahlen Dunkelheit, die sie nicht zu
durchleuchten vermochte. Bleich erschienen jetzt die starken,
gebräunten Gesichter, farblos die hellen Haare, die weitgeöffneten
Augen dunkel und glanzlos wie Höhlen.
    Der Herr schöpfte sich einen Becher voll Milch und trank ihn
aus. Seine Unruhe vom gestrigen Tag war gewichen, er war gefaßt. Er
hatte die Natur gesehen, wie noch nie. Er war von der Schwester
aufgebrochen, da ein Wetter von weitem aufzog, um zur Zeit noch daheim
zu sein. Als er abfuhr, waren die grauen Gewitterwolken noch weit in
der Ferne hinter seinem Rücken gewesen, und da kein Sturm kam, hatte er
bald daran vergessen und glaubte nicht mehr, daß sie in seine Gegend
kommen und Regen, den ersehnten, bringen würden.
    Vor ihm lag Hitze, dorrende Felder und Wiesen, blendender
Sonnenschein. Da traf ihn plötzlich, kurz ehe er in den Forst einbog,
in nächster Nähe der Treuener Felder, kalter Wind im Rücken und heiße
Tropfen im Nacken. Er wandte sich um. Dicht hinter ihm, als wollte sie
auf Haupt und Schultern sich ihm stürzen, stand, steil aufgetürmt, eine
schwere, schwarze Wolkenwand, unfaßbar schnell herangeweht, Blitze
zuckten unaufhörlich, leiser Donner dröhnte, feine, heiße Tropfen
sprühten senkrecht zur Erde. Doch vor ihm lag Sonne.
    Er trieb das Pferd an, bog in den Forst ein. Im Walde war es
still, die Sonne plötzlich erloschen, durch die Wipfel der smaragden
aufleuchtenden Bäume schimmerte gelber Himmel. Schnell kam er zum
Ausgang des Waldes. Da stampfte das Pferd auf, blieb stehen und
scheute. Vor ihnen lag Treuen, gehüllt in ein Meer von schwarzen,
wogenden Wolken, die, von einem kreisenden Winde umfegt, sich
ineinander verschlangen zu schweren, düsteren Knäueln, sich auf und
nieder senkten, aus ihrer Mitte heraus mit Dunkelheit die Erde
beschatteten, während an ihren tiefhängenden Rändern Streifen gelben
Lichtes mit fahlem Schein die Erde matt wieder erhellten. Denn am
entgegengesetzten Horizont, jetzt im Rücken Christians, war der Himmel
hell und rein, strahlend und golden erleuchtet von abendlicher Sonne.
    Christian mußte absteigen und das scheuende Pferd in die
Finsternis der drohenden Wolken führen. Der heiße, raschelnde Wind
umschlich jetzt auch sie, die Luft drückte, von Schwefelgeruch erfüllt,
kein Blitz, kein Regen fiel. Unbeweglich, scharf abgegrenzt, von dem im
Kreise jagenden Wind zusammengehalten, lagerte das Gewitter heiß und
tief auf Haus, Hof und den Feldern von Treuen. Kein Vogel war zu sehen
noch zu hören, doch durch die dürren Halme hindurch konnte Christian
auf der trocken-staubenden Erde der Felder das geschäftige Wimmeln der
Millionen Feldmäuse erblicken, die durch die Hitze und Trockenheit in
Unzahl entstanden waren und jetzt in der plötzlichen, fahlen Dämmerung
aus- und einschlüpften, ihre winzigen Pelze und blitzenden Äuglein matt
und gelb angeleuchtet.
    Christian kam an dem Wiesenschlag sieben vorbei, wo die eben
zusammengetriebene Herde scheu durcheinanderlief und dem Ruf der Hirten
nicht mehr folgen wollte. Mit Mühe konnten alle vier, der Herr, der
Hirt mit seinem Hütejungen und der Schäferhund, sie zusammenhalten und
eintreiben. Hinter ihnen senkte sich die Wolkenwand, umschloß sie, der
heiter strahlende Abendhimmel war nicht mehr zu sehen.
    »Es will nicht losgehen,« sagte jetzt der Hirt in der Küche,
»es steht ganz genau über uns, drüben hat noch die Sonne geschienen,
aber es geht nicht los.«
    »Im Gebirge soll es das oft geben«, sagte der Herr mit ganz
ruhiger, klarer Stimme.
    »Aber hier sollte es nicht so sein,« widersprach Emma, »es
erstickt einen ja, es zeigt auf uns.«
    »Die Emma wird ein altes Weib, immer fürchtet sie sich«, sagte
Anton, und einige versuchten zu lachen. Da ertönte aus der Ecke hervor,
erst leise, dann aber immer stärker einfallend, ein langgezogenes
Schnarchen. Der Greis, der alte Tagelöhner, war eingeschlafen. Nun
lachten alle. Einige der Katenleute wagten jetzt aufzubrechen. Schnell
erhoben sich nun auch die Mägde, langsam folgten dann die Männer. Es
war schon neun Uhr. Es war völlig dunkel, es wurde aber kein Licht
angezündet; sie legten sich alle im Dunkeln nieder, und ihre starken
Körper fielen trotz der lastenden Luft auch bald in Schlaf. Träumten
sie auch nie, auch in dieser Nacht nicht, so drangen doch heute das
Stöhnen

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