Das verlorene Kind
ließ
nicht nach an Mühe und Arbeit, um der Kinder willen. Er arbeitete
selbst mit von früh bis spät, er gönnte sich nicht mehr als vier
Stunden Schlaf täglich. Er war hager geworden, sein Gesicht abgemagert,
es war jetzt gebräunt unter dem gebleichten Haar, wetterhart unter der
breiten, hohen, leuchtend geglätteten Stirn. Er ging nie unter
Menschen, nie mehr in die Kirche, das Grab der Frau ließ er von Emma
betreuen und von seiner Schwester.
Als im Juni Hitze und Trockenheit noch anhielt, sah man, daß
es in der ganzen Gemarkung Mißernte geben würde.
»Strohernte, Herr!« sagte in Treuen der Wirtschafter zu
Christian und deutete traurig auf die weiten, grauen Flächen der
Felder, auf die braunen, jämmerlichen Wiesen. Christian dachte daran,
daß er einmal schon um den Kaufpreis für Treuen gehandelt hatte, und
nun würde er im Herbst kaum die Pacht zahlen können. Es wurde immer
schwerer, die Tiere zu tränken, es kam Wassernot. Die Teiche
verdunsteten und enthielten nur noch trüben Schlamm, der Brunnen drohte
zu versiegen, in großen Tonnen wurde Wasser aus dem Forst geholt, wo
eine versteckte Quelle noch rieselte. Mitte Juni war schon alles,
Menschen, Tiere und Pflanzen, vollständig durch die Tag und Nacht
andauernde trockene Hitze erschöpft. Das Lachen und die wiedergewonnene
Sorglosigkeit waren auch schon verschwunden, abends lagerten sich alle
auf die Treppe, die in den Keller führte, um etwas Kühlung zu genießen.
Nur Christian litt nichts, denn sein Körper war fühllos geworden.
Unermüdlich arbeitete er weiter von früh bis spät, und seine große
Sorge war, Feuer, das leicht in den ausgetrockneten Ställen und
Gebäuden entstehen konnte, zu verhüten.
Der Termin kam, wo Christian die schon im voraus verkaufte
Ernte des vorigen Jahres liefern sollte. Diese Schuld bedeutete für ihn
einen großen Verlust, da die vorjährigen Preise niedrig, die
diesjährigen aber, der bevorstehenden Mißernte wegen, hoch gestiegen
waren. Er ließ nun in der zweiten Woche im Juni die Scheune Nummer vier
öffnen, da zuerst der darin eingescheuerte Roggen ausgedroschen werden
sollte. Zum Dreschen wurden bestimmt: Anton, der junge Knecht, der
jetzt die Stelle von Fritz einnahm, vier Arbeiter und die junge Magd
Paula zum Zureichen und Aufbinden der Garben. Wegen der großen Hitze
sollte morgens von drei bis acht und abends noch einmal von acht bis
zehn Uhr gearbeitet werden.
Im grauen Morgendämmer schritten die sechs mit dem
Wirtschafter über den Hof auf die Scheune zu, um das Tor zu öffnen. Es
war noch völlig still in der Natur, die Vögel schliefen, und am
silbernen Himmel standen noch einzelne, ferne kleine Sterne. Der
Wirtschafter wählte den Schlüssel aus dem großen Bund hervor und
öffnete das Schloß, das den schweren Hebebaum an die Wand schmiedete.
Er erinnerte sich dabei, wie schwer das Tor im vergangenen Sommer
zugegangen war, und sagte, ein wenig sein zerknittertes Bauerngesicht
zum Lachen verziehend: »Werden doch keinen Ochsen vorspannen müssen, um
aufzukriegen!« Doch kaum war der Hebebaum entfernt und die Pfosten der
übereinandergreifenden Flügel leicht angezogen, so stürmten die
ausgetrockneten Tore auseinander, kreisten im Schwung vor und dann weit
zurück zur Seite, bis nahe zu den Wänden, wo sie, zitternd in ihren
ganzen Flächen, stehenblieben. Den jungen Knecht Anton hatte der rechte
Flügel in den Rücken gestoßen, so daß er hart zu Boden stürzte. Ihnen
allen war es, als hätte unsichtbarer Druck von innen her voller Gewalt
gelauert, um endlich das Tor aufzusprengen. Sie griffen zögernd zu, um
die Flügel nun ganz zurückzuschlagen, und traten dann in die weite,
dunkle Öffnung ein. Drei Meter im Geviert war ungefähr die Tenne noch
frei zum Dreschen, dann erhoben sich ringsum die dicken Mauern der
Garben. Ein erstickender Dunst von Hitze, ausgetrocknetem Stroh und
Moder entwich in den ebenfalls schon warmen Sommermorgen. Aufseufzend
griffen die Männer nach den Dreschflegeln, und Paula band die ersten
Garben los. Der Wirtschafter kehrte aufatmend in den Hof zurück, und
bald hörte man, und von nun an alle Tage hindurch, getreulich den wohl
etwas langsamen, aber steten Takt der Dreschflegel.
Dann kam die Wiederkehr des Geburtstages der kleinen Anna. Es
war an einem Sonnabend. Der Herr hatte schon mittags Feierabend
geboten, die Hitze drückte sehr und auch die Erinnerung an das Unglück.
Mittags war Klara
Weitere Kostenlose Bücher