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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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einem lauten Klick. Jeanne trat an das Bett. Ihr Gesicht war grau und ihr Mund verkniffen, doch sie hielt sich so gerade wie eh und je.
    Sie schlug das Laken zurück. Die Stille des Todes drang ins Zimmer. Baillard fiel auf, wie jung Yves aussah. Die Haut war sehr weiß und glatt, ganz ohne Falten. Er hatte einen Verband um den Kopf, unter dem schwarze Haarsträhnen hervorlugten. Die Hände mit den roten, aufgeschürften Knöcheln waren auf der Brust gefaltet, wie bei einem jungen Pharao.
    Baillard betrachtete Jeanne, die sich vorbeugte und ihren Enkelsohn auf die Stirn küsste. Dann zog sie ihm das Laken mit ruhiger Hand wieder über das Gesicht und wandte sich ab.
    »Sollen wir?«, sagte sie und hakte sich bei Baillard ein.
    Sie gingen zurück auf den leeren Flur. Baillard schaute nach rechts und links und führte Jeanne zu einer Reihe billiger Plastikstühle, die an die Wand geschraubt waren. Die Stille war bedrückend. Instinktiv sprachen sie leiser, obwohl niemand in der Nähe war, der sie hätte hören können.
    »Ich habe mir schon seit einer ganzen Weile Sorgen um ihn gemacht, Audric«, sagt sie. »Er hatte sich verändert. War verschlossen, ängstlich geworden.«
    »Hast du ihn gefragt, was los war?«
    Sie nickte. »Er hat behauptet, es wäre nichts. Nur Stress, Überarbeitung.«
    Audric legte eine Hand auf ihren Arm. »Er hat dich geliebt, Jeanne. Vielleicht war ja wirklich nichts. Vielleicht aber doch.« Er hielt inne. »Wenn Yves tatsächlich in irgendeine unlautere Sache verwickelt war, dann passte das nicht zu ihm. Dann hat ihn sein Gewissen belastet. Und am Ende, als es drauf ankam, hat er das Richtige getan. Er hat dir den Ring geschickt, ungeachtet der Folgen.«
    »Inspektor Noubel hat mich nach dem Ring gefragt. Er wollte wissen, ob ich am Montag noch mit Yves gesprochen hatte.«
    »Was hast du geantwortet?«
    »Die Wahrheit. Dass ich nicht mehr mit ihm gesprochen hatte.« Audric seufzte erleichtert auf.
    »Du glaubst, dass Yves dafür bezahlt wurde, Informationen weiterzugeben, nicht wahr, Audric?« Sie sprach zögerlich, aber mit fester Stimme. »Sag es mir. Ich möchte die Wahrheit wissen.« Er hob die Hände. »Wie soll ich die Wahrheit sagen, wenn ich sie nicht kenne?«
    »Dann sag mir, was du vermutest. Das Nichtwissen« - sie stockte -, »etwas Schlimmeres gibt es nicht.«
    Baillard dachte an den Augenblick, als der Felsen vor den Eingang der Höhle fiel und die beiden einschloss. Nicht zu wissen, was ihr widerfahren war. Das Tosen der Flammen, die brüllenden Soldaten. Halb vergessene Orte und Bilder. Nicht zu wissen, ob sie lebte oder tot war.
    »Es vertat«, sagte er leise. »Das Nichtwissen ist unerträglich.« Er seufzte erneut. »Also gut. Ich glaube tatsächlich, dass Yves dafür bezahlt wurde, Informationen zu liefern - ja -, vor allem über die Trilogie, aber wahrscheinlich auch über andere Dinge. Ich könnte mir denken, dass es zu Anfang ganz harmlos war - hier und da mal ein Telefonanruf, ein Tipp, wo eine bestimmte Person sich aufhalten könnte, wer mit wem geredet hat - aber wahrscheinlich haben sie schon bald mehr von ihm verlangt, als er geben wollte.«
    »Du sagst >sie<. Dann weißt du also, wer dahinter steckt?«
    »Pure Spekulation, mehr nicht«, sagte er rasch. »Die Menschheit ändert sich nicht, Jeanne. Oberflächlich betrachtet, scheinen wir verändert. Wir entwickeln uns, erfinden neue Regeln, neue Maßstäbe. Jede Generation baut neue Werte auf und legt alte ab, ist stolz auf ihre Kultur, ihre Weisheit. Wir scheinen wenig gemeinsam zu haben mit denjenigen, die uns vorausgegangen sind.« Er klopfte sich auf die Brust. »Doch unter diesen fleischlichen Hüllen schlägt das menschliche Herz noch genauso wie immer. Gier, der Wunsch nach Macht, die Angst vor dem Tod, diese Gefühle ändern sich nicht.« Seine Stimme wurde weicher. »Und auch die Dinge, die das Leben schön machen, ändern sich nicht. Liebe, Mut, die Bereitschaft, das eigene Leben für seine Überzeugungen zu opfern, Güte.«
    »Wird es je enden?«
    Baillard zögerte. »Ich bete darum.«
    Über ihnen an der Wand zeigte eine Uhr das Verstreichen der Zeit an. Am hinteren Ende des Ganges waren kurz gedämpfte Stimmen zu hören, Schritte, das Quietschen von Gummisohlen auf dem Linoleumboden. Dann wurde es wieder ruhig.
    »Du wirst also nicht zur Polizei gehen?«, sagte Jeanne schließlich.
    »Ich glaube, das wäre unklug.«
    »Misstraust du Inspektor Noubel?«
    »Benleu.« Vielleicht. »Hat die Polizei dir

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