Das Verlorene Labyrinth
der Bücher auf euch genommen habt, dürft Ihr nicht am Ende scheitern.«
»Was in Besiers geschehen ist, wird hier nicht geschehen«, sagte er mit Nachdruck. »Carcassona kann einer Belagerung widerstehen. Es wird ihr widerstehen. Die Bücher sind hier viel sicherer.«
Alaïs nahm seine Hand.
»Ich flehe Euch an, nehmt Euer gegebenes Wort nicht zurück.« »Arest, Alaïs «, fuhr er auf. »Wir wissen nicht, wo sich das Heer im Augenblick befindet. Die Tragödie, die Besiers ereilt hat, ist bereits keine Neuigkeit mehr. Mehrere Tage sind seitdem vergangen, auch wenn wir erst jetzt davon erfahren. Eine Vorhut könnte schon jetzt in Reichweite der Ciutat sein. Wenn ich dich gehen ließe, wäre das so, als würde ich dein Todesurteil unterschreiben.«
»Aber ...«
»Ich verbiete es dir. Es ist zu gefährlich.«
»Ich bin bereit, das Risiko auf mich zu nehmen.«
»Nein, Alaïs «, schrie er sie an, als die Angst sein aufbrausendes Temperament in Wallung brachte. »Ich werde dich nicht opfern. Die Pflicht liegt bei mir, nicht bei dir.«
»Dann kommt mit mir«, rief sie. »Noch heute Nacht. Wir nehmen die Bücher und brechen auf, jetzt, solange noch die Möglichkeit besteht.«
»Es ist zu gefährlich«, wiederholte er halsstarrig.
»Denkt Ihr, ich wüsste das nicht? Ja, vielleicht beendet die Spitze eines französischen Schwertes unsere Reise. Aber wir haben es wenigstens versucht, und so zu sterben ist besser, als uns von der Angst vor einer ungewissen Zukunft den Mut rauben zu lassen!«
Zu ihrem Erstaunen, und auch zu ihrem Ärger, lächelte er. »Dein Kampfgeist gereicht dir zur Ehre, Filha«, sagte er, obwohl er niedergeschlagen klang. »Doch die Bücher verbleiben in der Ciutat.«
Alaïs starrte ihn entgeistert an, dann sprang sie auf und rannte aus dem Zimmer.
Kapitel 47
Besiers
N ach ihrem unerwarteten Sieg bei Beziers blieben die Kreuzfahrer noch drei Tage auf den fruchtbaren Wiesen und reichen Feldern, die die Stadt umgaben. Einen so großen Preis mit so wenigen Verlusten errungen zu haben war ein Wunder. Gott hätte ihnen kein deutlicheres Zeichen für die Gerechtigkeit ihrer Sache geben können.
Oberhalb von ihnen lagen die rauchenden Ruinen der ehemals prächtigen Stadt. Graue Ascheflocken wirbelten in das unbeteiligte Blau des Sommerhimmels auf und wurden vom Wind über das besiegte Land geweht. Von Zeit zu Zeit war das unverkennbare Geräusch von einstürzenden Mauern und Balken zu hören. Am folgenden Morgen brach das Kreuzheer das Lager ab und zog über offenes Land gen Süden auf die römische S tadt Nar bonne zu. An der Spitze des Zuges und flankiert von den päpstlichen Legaten ritt der Abt von Citeaux, dessen Macht durch die verheerende Niederlage der Stadt, die es gewagt hatte, der Häresie Zuflucht zu gewähren, vorübergehend gestärkt worden war. Jedes weiße oder goldene Kreuz auf den Rücken der Krieger Gottes schien wie feinstes Tuch zu schimmern. Jedes Kruzifix schien die Strahlen der leuchtenden Sonne einzufangen.
Das siegreiche Heer wand sich wie eine Schlange durch die Landschaft, die geprägt war von Salzpfannen, Tümpeln und weiten Flächen mit gelbem Buschwerk, gepeitscht von dem erbarmungslosen Wind, der vom Golfe du Lion herauffegte. Am Wegesrand wuchsen wilder Wein sowie Oliven- und Mandelbäume.
Ein solches Gebiet hatten die französischen Soldaten, die das extreme Klima des Südens nicht kannten und nicht gewohnt waren, noch nie gesehen. Sie bekreuzigten sich und nahmen es als Beweis dafür, dass sie wahrhaftig in ein von Gott verlassenes Land vorgedrungen waren.
Am 25. Juli traf eine Abordnung unter Führung des Erzbischofs von Narbonne und des Vicomte der Stadt die Kreuzfahrer bei Capestang.
Narbonne war ein reicher Handelshafen an der Mittelmeerküste, wenngleich das Zentrum der Stadt etwas weiter im Landesin nern lag. Die Gerüchte von den Gräueln, die sich in Beziers zugetragen hatten, waren den Vertretern von Kirche und Staat noch frisch im Gedächtnis, und um Narbonne vor dem gleichen Schicksal zu bewahren, waren sie bereit, ihre Unabhängigkeit und Ehre aufzugeben. Vor Zeugen fielen Erzbischof und Vicomte von Narbonne vor dem Abt auf die Knie und unterwarfen sich der Kirche ohne jede Einschränkung. Sie versprachen, sämtliche bekannten Häretiker an die Legaten auszuliefern, allen Besitz in den Händen von Katharern und Juden zu konfiszieren und sogar Steuern auf ihre Habe zu zahlen, um den Kreuzzug zu unterstützen.
Binnen weniger Stunden waren
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