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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Simeon nicht mehr im Wald, sondern in einer Art Stall. Er erinnerte sich dumpf, lange transportiert worden zu sein. Die Rippen schmerzten ihm von der Bewegung des Pferdes.
    Der Geruch war fürchterlich, eine Mischung aus Schweiß, Ziege, feuchtem Stroh und etwas, das er nicht recht benennen konnte. Etwas Widerwärtiges, wie vermodernde Blumen. An der Wand hingen mehrere Zuggeschirre, und eine Heugabel lehnte in der Ecke neben der kaum schulterhohen Tür. An die gegenüberliegende Wand waren fünf oder sechs Metallringe zum Anbinden von Tieren angebracht.
    Simeon blickte nach unten. Die Kapuze, die sie ihm über den Kopf gestülpt hatten, lag neben ihm auf dem Boden. Er war an Händen und Füßen gefesselt.
    Er hustete, versuchte, die rauen Fäden des Kapuzenstoffs auszuspucken, und hievte sich in eine sitzende Position. Obwohl er sich völlig steif und zerschlagen fühlte, schob er sich langsam rückwärts über den Boden Richtung Tür. Es dauerte eine Weile, doch als er schließlich an Schultern und Rücken etwas Festes spürte, war das eine ungeheuere Wohltat. Behutsam richtete er sich auf, wobei er mit dem Kopf beinahe gegen das Dach gestoßen wäre. Er warf sich gegen die Tür. Das Holz bog sich ächzend, aber die Tür war von außen verriegelt und ließ sich nicht öffnen. Simeon überlegte, ob er noch in der Nähe von Carcassonne oder schon weiter weg war. Er erinnerte sich vage, von einem Pferd durch den Wald und dann über flaches Land getragen worden zu sein. Er kannte sich zwar nicht gut in der Gegend aus, aber er vermutete, dass er irgendwo in der Umgebung von Trebes sein musste.
    Durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Boden drang ein dämmriger Lichtschein. Es konnte also noch nicht ganz Nacht sein. Wenn er angestrengt lauschte, hörte er in der Nähe Stimmengemurmel, vermutlich von den Männern, die ihn entführt hatten.
    Sie warteten auf jemanden. Der Gedanke durchlief ihn kalt, denn es war der Beweis dafür, obgleich er den kaum noch brauchte, dass er nicht zufällig überfallen worden war.
    Simeon robbte sich weg von der Tür bis zur hinteren Wand des Stalls. Die Zeit verging, und er döste ein, sank zur Seite, schreckte auf und glitt dann wieder in den Schlaf.
    Gegen Morgen weckte ihn das Geräusch einer lauten Stimme. Schlagartig war jeder Nerv seines Körpers angespannt. Er hörte, wie Männer hastig aufsprangen, dann ein Poltern, als der schwere Holzbalken von der Tür entfernt wurde.
    Drei schattenhafte Gestalten erschienen im Türrahmen, ihre Silhouetten hoben sich scharf gegen das helle Sonnenlicht ab. Simeon blinzelte, konnte aber kaum etwas erkennen.
    » Oú est-il?« Wo ist er?
    Es war eine gebildete nordfranzösische Stimme, kalt und herrisch. Eine kurze Pause entstand. Dann entdeckten sie Simeon, der blinzelnd im Schatten saß. »Schafft ihn her.«
    Simeon hatte kaum Zeit, sich den Anführer anzusehen, als er auch schon an den Armen gepackt und vor dem Franzosen auf die Knie geworfen wurde.
    Langsam hob Simeon den Blick. Der Mann hatte ein grausames, schmales Gesicht und ausdruckslose, steingraue Augen. Seine Tunika und die Beinkleider waren von guter Qualität und nach nordfranzösischer Art geschnitten, lieferten aber keinerlei Hinweis auf seinen Rang oder seinen Stand.
    »Wo ist es?«, fragte er.
    Simeon hob den Kopf. »Was meint Ihr?«, erwiderte er auf Jiddisch.
    Der Tritt traf ihn unvorbereitet. Er spürte eine Rippe brechen und kippte zur Seite. Grobe Hände schoben sich unter seine Arme und richteten ihn wieder auf.
    »Ich weiß, wer du bist, Jude«, sagte der Mann. »Es hat keinen Sinn, irgendwelche Spielchen mit mir zu spielen. Ich frage dich noch einmal. Wo ist das Buch?«
    Simeon hob erneut den Kopf und schwieg.
    Diesmal traf der Mann ihn ins Gesicht. Schmerz explodierte in Simeons Kopf, seine Lippen platzten auf, und Zähne brachen ihm im Kiefer. Blut und Speichel brannten ihm auf der Zunge und in der Kehle.
    »Ich habe dich wie ein Tier gejagt, Jude«, sagte der Mann. »Den ganzen Weg von Chartres nach Besiers bis hierher. Ich habe deine Spur verfolgt wie die Fährte eines Tieres. Du hast mich viel Zeit gekostet. Und allmählich verliere ich die Geduld.« Er trat einen Schritt näher, sodass Simeon den Hass in den grauen, toten Augen sehen konnte. »Also, wo ist das Buch? Hast du es Pelletier gegeben? C'est ga?«
    Zwei Gedanken kamen Simeon gleichzeitig in den Sinn. Erstens, dass er sich selbst nicht würde retten können. Zweitens, dass er seine Freunde schützen musste.

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