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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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geben.
    »Ich habe etwas für Euch«, sagte er schüchtern und schob ihr unvermittelt das Päckchen in die Hand.
    »Wie nett«, sagte sie. »Ist es von Esclarmonde?«
    »Nein, von mir.«
    »Was für eine schöne Überras chung. Darf ich es schon aufma chen?«
    Sajhë nickte mit ernstem Gesicht, doch seine Augen strahlten vor Vorfreude, als Alaïs das Päckchen behutsam öffnete.
    »Ach, Sajhë, das ist aber schön«, sagte sie und hielt das glänzende braune Garn hoch. »Es ist wunderschön.«
    »Ich hab's nicht gestohlen«, sagte er rasch. »Na Marti hat es mir geschenkt. Ich glaube, sie wollte bei mir was wieder gutmachen.«
    Kaum waren ihm die Worte entschlüpft, da bereute Sajhë sie auch schon.
    »Was denn wieder gutmachen?«, fragte Alaïs sofort.
    Genau in diesem Augenblick ertönte ein Ruf. Ein Mann, der in der Nähe stand, zeigte zum Himmel. Ein Schwarm großer schwarzer Vögel flog niedrig über die Cité hinweg, von Westen nach Osten, in Form eines Pfeils. Das Sonnenlicht schien von ihrem glänzenden dunklen Gefieder abzusprühen, wie Funken von einem Amboss. Irgendwer sagte, das sei ein Omen, doch niemand wusste, ob es ein gutes oder ein schlechtes war.
    Sajhë hielt nichts von solchen abergläubischen Vorstellungen, aber heute befiel ihn trotzdem ein ungutes Gefühl. Alaïs schien es ähnlich zu gehen, denn sie legte den Arm um seine Schulter und zog ihn enger an sich.
    »Was habt Ihr?«, fragte Sajhë .
    »Res«, sagte sie zu schnell. Nichts.
    Hoch über ihnen, gleichgültig gegenüber der Menschenwelt, setzten die Vögel ihren Weg fort, bis sie nur noch ein dunkler Fleck am Himmel waren.

Kapitel 5
     
    A ls Alaïs ihren treuen Schatten abgeschüttelt und wieder ins Chateau Comtal zurückgekehrt war, läuteten schon die Mittagsglocken von Sant-Nasari.
    Sie war sehr müde und stolperte mehrmals, als sie die Treppe hinaufstieg, die ihr steiler als sonst vorkam. Sie hatte nur noch den Wunsch, sich ungestört in ihrem Gemach auszuruhen.
    Zu ihrer Überraschung war die Tür noch geschlossen. Inzwischen hätte das Zimmer bereits gemacht sein müssen. Die Vorhänge rund ums Bett waren zugezogen. Im Dämmerlicht sah Alaïs, dass François ihrem Wunsch gemäß den panier auf den niedrigen Tisch neben dem offenen Kamin gestellt hatte.
    Sie setzte das Brett mit dem Käse auf dem Nachttisch ab, ging dann zum Fenster, öffnete die Läden und machte sie fest. Sie hätten längst zum Lüften geöffnet sein sollen. Das Tageslicht strömte herein, ließ eine Staubschicht auf den Möbeln und die verschlissenen Stellen an den Bettvorhängen sichtbar werden. Alaïs ging zum Bett hinüber und zog die Vorhänge zurück.
    Zu ihrer Verblüffung schlief Guilhem noch immer. Erstaunt starrte sie ihn an. Er sah so unglaublich entspannt aus, so schön. Selbst Oriane, die nur selten ein gutes Wort über andere verlor, gab zu, dass Guilhem einer der stattlichsten chevaliers von Vicomte Trencavel war.
    Alaïs setzte sich neben ihn auf die Bettkante und fuhr mit der Hand über seine goldbraune Haut. Dann tunkte sie in einer unerklärlich kühnen Anwandlung einen Finger in den weichen, feuchten Ziegenkäse und verrieb ein bisschen davon auf den
    Lippen ihres Mannes. Er öffnete nicht die Augen, doch er lächelte träge und hob die Hand.
    Alaïs hielt die Luft an. Die Luft um sie schien vor Erwartung und Vorfreude zu vibrieren, als sie sich von ihm herabziehen ließ. Der innige Augenblick wurde vom Geräusch schwerer Schritte auf dem Gang jäh zerstört. Irgendwer brüllte Guilhems Namen, eine vertraute Stimme, vor Zorn verzerrt. Alaïs sprang auf. Schon die Vorstellung, dass ihr Vater eine so vertrauliche Szene zwischen ihnen sehen könnte, war ihr entsetzlich peinlich. Guilhems Augen flogen auf, und im selben Moment wurde die Tür aufgestoßen, und Pelletier kam ins Zimmer gestürmt, dicht gefolgt von François.
    »Ihr seid zu spät, du Mas«, donnerte er, schnappte sich den Mantel, der auf einem Stuhl lag, und schleuderte ihn seinem Schwiegersohn an den Kopf. »Steht auf! Alle anderen sind schon im Großen Saal und warten.«
    Guilhem fuhr auf. »Im Großen Saal?«
    »Vicomte Trencavel hat seine chevaliers zusammengerufen, und Ihr liegt hier im Bett. Meint Ihr, Ihr könnt einfach tun, was Euch beliebt?« Pelletier stand jetzt vor Guilhem. »Und? Was habt Ihr zu Eurer Entschuldigung zu sagen?«
    Plötzlich bemerkte Pelletier seine Tochter auf der anderen Seite des Bettes. Sein Gesicht wurde weicher. »Verzeih mir, Filha. Ich hatte dich

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