Das verlorene Land
wurde nicht wieder aufgenommen.
»Teufel auch«, sagte sie, als der Lärm der Geschütze abebbte. Sie war immer wieder aufs Neue beeindruckt. Die Geräusche auf dem Schlachtfeld waren völlig anders, als sie sie aus Filmen kannte. Einen Kampfjet hörte man immer erst dann, wenn es schon zu spät war, etwas gegen ihn zu unternehmen, vor allem wenn man selbst das Ziel war. Sie hoffte sehr, dass ihr das nie passieren würde.
»Echt«, grinste Rhino verlegen und entblößte tabakbraune Zähne. »Echt wahr. Die fahren keinen Schmusekurs mehr, das kann man wohl sagen.«
»Vielleicht wollen sie unsere Toten rächen?«, fragte Julianne wenig überzeugt.
»Das bezweifle ich«, sagte Rhino. »Aber immerhin sieht es so aus, als hätte der Präsident sich entschlossen, endlich konsequent zurückzuschlagen.«
So wie er »der Präsident« sagte, klang es in Juliannes Ohren, als wollte Rhino unterstreichen, dass er seine Handlungsweise unterstützte.
»Und was tun wir jetzt?«, fragte sie. »Wir müssen in diese Wohnung rein und dann mit den Unterlagen von Rubin aus der Stadt rauskommen, sonst können wir unsere Bezahlung in den Wind schießen.«
Der alte Haudegen schien darüber nachzudenken, ob er eine Zucchinifrucht pflücken sollte, um damit sein Glück
zu versuchen, entschied sich dann aber dagegen. Der Regen fiel jetzt wieder dichter, ließ dann nach, vielleicht war ja endlich Schluss damit.
»Ich schlage vor, dass wir uns beeilen, Miss Julianne. Wenn wir es schlau anfangen, können wir uns vielleicht zwischen den Kapuzentypen, die mit der Schießerei angefangen haben …« Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter hinweg zum Union Square. »… und den verrückten Iwans dort unten am Fluss …« Er nickte Richtung Hudson. »… hindurchmogeln.«
Julianne warf ihm einen wenig überzeugten Blick zu, aber ganz offensichtlich gab es kaum andere Möglichkeiten. Wenn Rhino Recht hatte und dies tatsächlich der Beginn der Rückeroberung der Stadt war, dann würde sich die Army Straßenzug um Straßenzug voranarbeiten und wahrscheinlich alles zerstören, was ihr in den Weg kam. Sie mussten Rubins Apartment erreichen und die Papiere rausholen, bevor das passierte, auch wenn es bedeutete, dass sie ein oder zwei Tage ein höheres Risiko eingingen. Der Lohn dafür wäre reichlich. Wenn sie ihn einstreichen konnten, dann wäre ihre Zeit als Schmugglerin vorbei, dann könnte sie sich als seriöse Geschäftsfrau an der Westküste niederlassen und ein Räumungsunternehmen in Los Angeles oder irgendwo anders aufmachen. Besser noch wäre es, eine ruhige Kugel zu schieben und Vertragsunternehmer die Drecksarbeit machen lassen, die den Gewinn dann bei ihr abzuliefern hatten.
Sie erschauerte, als ein kalter Wind vom Fluss herwehte. Ihre Schulter tat furchtbar weh, und sie sehnte sich nach einem warmen Ort. Jenseits des Wassers in New Jersey war alles dunkel, nur wenige mysteriöse helle Punkte waren zu erkennen und verstärkten nur den Eindruck, dass man auf einen riesigen Friedhof blickte. Zu wem oder zu was diese Lichter wohl gehörten … Freibeuter? Plünderer? Oder waren es Stützpunkte von Spezialtruppen, bestehend
aus Horden ungewaschener Abenteurer, die sich um ihre Lagerfeuer versammelt hatten und gegrillte Ratten verspeisten, die sie an Kleiderhaken aus Draht befestigten und über das Feuer hielten?
Wohl kaum.
Es gab immer noch Berge von Lebensmitteln in Dosen oder in Vakuumverpackungen in den großen Städten, was bedeutete, dass niemand auf den »Sonntagsbraten der Landstreicher«, wie ihr Vater es genannt hatte, zurückgreifen musste. Zwei weitere Kampfjets näherten sich dicht unter der Wolkendecke, die vom Feuer ihrer Triebwerke und den Positionslichtern erleuchtet wurde. So wie es aussah, ließen sie ihre Bomben irgendwo in der Nähe des Gramercy Park fallen.
Rhino brummte zustimmend vor sich hin, verzog dann aber das Gesicht.
»Miss Julianne, jetzt werde ich etwas tun, was ein echtes Nashorn niemals tut«, sagte er. »Ich werde den Kopf einziehen und mich verkrümeln. Das da draußen sieht nach einem Kampf aus, der gerade erst beginnt, und ich frage mich, ob es klug wäre, da hineinzumarschieren.«
»Das könnte bedeuten, dass es uns erwischt, genau wie den armen Ryan«, sagte sie.
»Genau. Ich schlage vor, wir bleiben ein paar Stunden hier, ruhen uns aus und überlegen, wie wir weiter vorgehen. Vielleicht kriegen wir ja sogar ein bisschen Schlaf, bevor die Sonne aufgeht. Dann kommen wir vielleicht ein paar
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