Das verlorene Land
die beiden Frauen ihn anschauten. Er erwartete, dass seine Tochter protestieren würde, und sah schon den Zorn in ihren Augen aufflammen. Aber bevor sie loslegen konnte, beugte sich Maive Aronson über einen Sack mit Bohnen und fasste sie am Arm.
»Könntest du mal rausgehen und Mr. Atchinson für mich suchen? Ich muss ihn fragen, wie viel von diesen Vorräten wir in die Satteltaschen packen können. Ich glaube, er kümmert sich gerade um die Pferde. Adam kann dir ja beim Suchen helfen.«
Der jüngste männliche Mormone, ein Junge von vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahren mit rosigem Gesicht, versuchte gerade einen großen Karton in den Raum zu ziehen. Sein Bruder – der Orin hieß, wenn Miguel das richtig in Erinnerung hatte – stieß von hinten gegen ihn und hätte ihn beinahe umgestoßen. Der Zwischenfall reichte schon aus, um die Spannung zu lösen. Sofia warf ihrem Vater einen kühlen Blick zu, als sie nach draußen ging, aber Miguel ließ sich nicht von den Anwandlungen seiner Teenager-Tochter beirren. Er lächelte sogar ein wenig, als er ihr hinterherblickte und sah, wie sie erhobenen Hauptes nach draußen stolzierte und Adam hinter ihr herstolperte. Es amüsierte ihn noch mehr, als er sah, dass Orin offenbar enttäuscht war, dass nicht er als Begleiter für Sofia ausgesucht worden war. Aber dann überkam ihn wieder seine Trauer, und er wurde ernst.
»Wir müssen mit leichtem Gepäck losreiten und uns beeilen«, sagte er und seufzte beinahe laut auf. »Vielleicht sollten wir alles hier zurücklassen, was wir im Kampf nicht gebrauchen können.«
Cooper Aronson sah aus, als wollte er etwas anmerken, aber Miguel schnitt ihm das Wort ab. »Es wird zu einem Kampf kommen, Mr. Aronson.«
Der Mormone nickte zögernd.
Miguel fuhr fort. »Sie haben alle die gleichen Waffen, ist das richtig?«
»Richtig«, antwortete Ben Randall. »M-16-Maschinenpistolen, die uns von der Regierung zur Verfügung gestellt wurden. Man bekommt sie, wenn man in Corpus Christi das Schiff verlässt. Es wundert mich, dass Sie und Ihre
Tochter keine besitzen«, fügte er hinzu und wurde rot und stotterte: »Oh, tut mir leid, ich wollte nicht …«
Miguel machte eine abwehrende Handbewegung. »Man hat uns drei Armeegewehre gegeben, als wir ankamen, aber ich mag sie nicht besonders. Wir sind ja keine Soldaten, und solche Flinten sind ziemlich unzuverlässig. Ich hab mir später andere, brauchbarere Waffen besorgt. Einige, um Schlangen töten zu können«, sagte er und klopfte auf das überdimensionale Halfter an seiner Hüfte. »Andere sind nützlich, wenn man auf einer Farm zu tun hat, so wie meine Winchester. Ich bevorzuge Waffen, mit denen ich vertraut bin. Ich habe mein ganzes Leben lang eine Winchester benutzt.«
»Und was ist mit dem Gewehr Ihrer Tochter?«
»Sie geht gern auf die Jagd. Aber das spielt keine Rolle. Sie wird sich nicht an diesem Kampf beteiligen. Sie kann die Remington zu ihrem Schutz und dem der anderen Frauen benutzen.«
»Kann sie gut schießen?«, fragte Aronson.
Miguel nickte. »Sie hat mal einen Zehnender auf zweihundertsiebzig Meter Entfernung erlegt …« Er hielt kurz inne und sagte dann: »Ich glaube nicht, dass sie zögern wird, auf einen Menschen anzulegen.«
Aronson brauchte einen Moment, um das alles zu verdauen, dann schaute er seine Frau an. »Wie sieht es mit unseren Vorräten aus?«
»Wir haben genug für die nächsten paar Wochen«, antwortete sie.
»Das wird auf jeden Fall reichen«, sagte Miguel. »Wir werden die Angelegenheit so oder so in zwei Tagen hinter uns bringen.«
23
New York
»Vielleicht ist der Union Square doch keine so gute Idee.«
Von dem Dachgarten, der in den letzten drei Jahren ziemlich verwildert war, hatten sie einen ausgezeichneten Blick auf die Soldaten, die auf den Union Square strömten, wo Julianne eigentlich die Nacht verbringen wollte. Sie beugte sich zusammen mit Rhino über die Brüstung und reichte ihm das Fernglas. Es regnete. Sie beobachteten die 14. Straße, wo sich im Augenblick offenbar ein Trupp der Army sammelte … na ja, es war wirklich ein recht kleiner Trupp, soweit man das von hier aus beurteilen konnte. Wegen ihrer verletzten Schulter war sie gezwungen, das Fernglas mit einer Hand zu halten und dementsprechend zittrig war das Bild, das sie sah. Dass sie zusätzlich auch noch vor Kälte, Hunger und Müdigkeit bibberte, machte die Sache auch nicht besser. Ihre letzte warme Dusche war gerade mal einen Tag her, jetzt war sie völlig
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