Das verlorene Land
Handwerk zu pfuschen.
Mit dem Campinglicht in der Hand suchte Rhino die Küche nach Kaffeebechern ab. Das weiße Leuchten der fluoreszierenden Lampe ließ zitternde Schatten durchs Wohnzimmer gleiten, während er einen Schrank nach dem anderen durchsuchte.
»Donnerwetter, den Leuten hier ist es aber gutgegangen«, sagte er. »Die hatten acht verschiedene Nudelsorten gebunkert.«
Julianne schaute von dem Stadtplan der Upper East Side auf, den sie gerade studierte, und sah, wie Rhino eine Packung Linguine hin und her wedelte.
»Das sind keine Nudeln, das ist Pasta«, sagte sie.
»Da sind sie ja endlich. Tassen und Untertassen. Die haben einen Schrank ganz für sich allein. Ganz schöne Angeber, was?«
»Kommt ganz darauf an, um welche Art von Porzellan es sich handelt«, sagte Julianne. Sie stand auf und dehnte ihre Muskeln. »Hör mal, Rhino. Wie wäre es, wenn du dir diese Pläne mal vornimmst. Du könntest einzeichnen, wer welchen Teil der Stadt kontrolliert. Das wäre durchaus hilfreich, wenn wir uns zum Apartment von Rubin durchschlagen. Ich bereite uns währenddessen das Abendessen zu.«
»Na, dann viel Spaß dabei«, höhnte er. »Diese Snobs haben ja überhaupt nichts Gescheites in der Vorratskammer. Wir hätten mal lieber eine Arbeiterwohnung aufbrechen
sollen. Da hätte es wenigstens Hühnchen aus der Dose gegeben oder Würstchen. Das wäre jedenfalls besser als dieses Zeug hier … was soll das denn sein? Getrocknete Hundekacke?«
Er hielt eine kleine Plastiktüte hoch und verzog angewidert das Gesicht.
»Schnell, her damit«, sagte Julianne aufgeregt. »O mein Gott, du bist wirklich ein Banause, das sind getrocknete Steinpilze. Jetzt können wir uns ein richtig feines Abendessen machen. Vielleicht gibt’s hier ja noch vernünftiges Olivenöl. Jede Wette, dass die hier kaltgepresstes extravirgine haben. Das hält sich jahrelang.«
»Passen Sie bloß auf, dass Sie meinen Kakao nicht abfackeln, während Sie die Fernsehköchin spielen«, warf er ein.
Die Warnung war berechtigt. Das Wasser im Topf auf dem kleinen Primus-Kocher blubberte schon fröhlich vor sich hin, und Julianne unterbrach ihre Suche nach Essbarem, um die Getränke zuzubereiten. Ihr verletzter Arm war immer noch gefühllos und kaum zu gebrauchen, was bedeutete, dass sie alles mit einer Hand erledigen musste. Das dauerte lange und war ziemlich frustrierend. Das Dagoba-Schokoladenpulver war in der Schachtel aus Pappe ziemlich hart geworden. Dementsprechend anstrengend war es, ein paar Stücke davon abzuhacken und im heißen Wasser aufzulösen. Sie betrat die Speisekammer und suchte nach einer Dose mit Kondensmilch, aber das war wohl zu viel verlangt. Sie musste sich damit abfinden, eine dünne Brühe anzurühren. Der Schokoladenduft war so intensiv, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief und ihr Magen zu knurren anfing.
»Hast du noch diese Energie-Riegel aus dem Hotel?«, fragte sie, während Rhino im Zimmer herumstöberte. Offenbar suchte er einen Stift, mit dem er den Stadtplan markieren konnte.
»In meinem kleineren Rucksack. Der steht da drüben neben diesem hässlichen Tisch«, antwortete er, während er systematisch sämtliche Schubladen aufzog und zuschob, die sich in einem Sideboard befanden, auf dem ein riesiger TV-Schirm stand. »Verdammt, jetzt sehen Sie sich das mal an!«
Julianne vermutete, dass er eine Schusswaffe oder vielleicht auch Hühnchen in Dosen gefunden hatte, aber er richtete sich auf und setzte sich einen Wikingerhelm auf den Kopf.
»Sieht super aus, oder? Es geht doch nichts über ein paar Extra-Hörner.«
Sie verbiss sich eine naheliegende Antwort und sagte nur: »Vielleicht solltest du mal die Schubladen in der Küche probieren, wenn du was zum Schreiben suchst. Auch reiche Leute müssen ab und zu was notieren.« Als sie die Energie-Riegel aus dem Rucksack holte, wunderte sie sich darüber, dass er ihn seinen kleinen Rucksack nannte. Für ihre Verhältnisse war es ein richtig großes Gepäckstück.
Rhino schob sich den grässlichen Helm auf seinem enorm breiten Kopf zurecht, auf den er – leider – genau passte. Im Vorbeigehen schnappte er sich seinen Becher mit der heißen Schokolade.
»Eins habe ich dich nie gefragt«, sagte Julianne. »Willst du eine Einmalzahlung von Rubin haben, wenn wir zurück sind?«
»Falls wir überhaupt zurückkommen«, korrigierte er. In der ersten Schublade, die er in der Küche aufzog, fand er einen Markierungsstift.
»Natürlich, wie konnte ich nur so
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