Das verlorene Land
Berlin gekommen, und ich muss unbedingt mit Sadie sprechen.«
»Hätte das nicht Zeit bis morgen gehabt?«, fragte sie. Es klang mehr wie eine Aufforderung als wie eine Frage.
»Hören Sie, es tut mir ja leid. Wirklich. Ich verstehe das. Ich habe auch ein kleines Baby zu Hause. Es dürfte ungefähr genauso alt sein wie Ihres, wenn ich das so sehe.«
Sie deutete über die Schulter der Frau hinweg auf die Babyausrüstung, die sie dort erspäht hatte.
»Wir haben schon von der kleinen Monique gehört«, sagte Mirsaad etwas freundlicher. »Bret hat uns ein Foto per E-Mail geschickt. Aber was hast du denn hier verloren, Caitlin? Du arbeitest doch nicht etwa wieder? Dein Baby ist doch noch so klein.«
Mirsaads Frau, deren rotes Haar deutlich darauf hinwies, dass sie aus einer Familie stammte, die schon lange hier ansässig war, warf ihm einen missbilligenden Blick zu, aber der Journalist streckte eine Hand aus und führte Caitlin freundlich ins Wohnzimmer. Das Baby schlief in der Wiege, die in einer Ecke neben dem Wickeltisch stand. Ihre geschulten Augen bemerkten sofort die übereinandergestapelten Stoffwindeln darunter.
Das enge Zimmer roch nach Lanolin, Desinfektionsmittel, erbrochener Milch und schmutzigen Windeln.
»Bret hat mir von Ihnen erzählt«, sagte die Frau beinahe anklagend. »Er sagte, Sie seien eine Art Soldatin, so wie er es mal gewesen war. Aber Sie sind länger dabei geblieben als er.«
Caitlin nickte zurückhaltend.
»So etwas Ähnliches. Soldatin war ich eine Weile, dann eher so etwas wie eine Polizistin, könnte man sagen. Und deshalb bin ich hier, Sadie. Bret und Monique wurden angegriffen und verletzt.«
Die letzten Reste von Müdigkeit fielen von Mirsaad ab, und er riss erschrocken die Augen auf.
»Was? Das ist ja furchtbar. Geht es ihnen gut? Das habe ich nicht gewusst. Wir haben nichts davon gehört. Ich arbeite hier bei einem kleinen Radiosender. Ich fürchte, wir sind ziemlich provinziell. Waren es Kriminelle? Ich habe gehört, dass die Kriminalität in England ziemlich angestiegen ist.«
»Es kam nicht in den Nachrichten, und es geht ihnen gut. Bret hat ein paar Kratzer und Prellungen abgekommen, aber es ist nicht weiter tragisch. Dem Baby geht’s gut. Es waren Kriminelle, aber nicht in dem Sinne, wie du es meinst. Sie wurden von einem Mann angeheuert, der hier in der Nähe sein Unwesen treibt. Jemand, der noch eine Rechnung mit mir offen hat. Sie waren eigentlich hinter mir her, offenbar versuchten sie, über meinen Mann und mein Kind an mich ranzukommen.«
Laryssa Mirsaad warf unwillkürlich einen Blick zur Tür, durch die Caitlin gerade eingetreten war. Ein Ausdruck mütterlichen Mitgefühls huschte über ihr Gesicht, der sich aber rasch in Zorn verwandelte.
»Und da kommen Sie ausgerechnet hierher?«, fragte sie anklagend. Caitlin konnte sie durchaus verstehen.
»Keine Sorge«, versicherte sie ihr. »Ich habe Sie nicht von meinem Kommen informiert, um sicherzugehen, dass niemand etwas davon erfährt. Ich wurde nicht beschattet oder verfolgt. Alles ist in Ordnung. Aber ich könnte deine Hilfe gebrauchen, Sadie. Falls du dazu bereit bist. Und falls Laryssa einverstanden ist, natürlich.«
»Was haben die ihnen denn angetan?«, fragte Laryssa.
»Sie wollten sie entführen, davon gehen wir jedenfalls aus. Es wurde auch … geschossen«, sagte Caitlin.
»O Gott. Wie ist das genau passiert? Konnten die Täter entkommen? Oder hat man sie gefasst?«
»Sie sind tot«, sagte Caitlin.
Jetzt sah Mirsaad beunruhigt aus.
»Um Himmels willen. Und Bret geht es gut? Wirklich?«
»Er hat ein paar Blessuren abbekommen, aber es ist nicht schlimm. Jemand kümmert sich um ihn. Hör mal, ich möchte die Kinder nicht aufwecken, Sadie. Können wir irgendwo in Ruhe reden? Wäre das in Ordnung, Laryssa?«
Caitlin hatte sofort erfasst, aus welcher Richtung der Widerstand kommen würde. Mirsaads deutsche Frau sah wirklich nicht so aus, als wäre sie auch nur im Entferntesten einverstanden, aber ihr Mann war inzwischen ganz wach und nickte einfach nur.
»Laryssa«, sagte er mit ernstem Unterton. »Die beiden haben uns nach dem Krieg sehr geholfen. Ich wäre nie aus dem Nahen Osten weggekommen, wenn Bret Melton sich nicht für mich eingesetzt hätte.« Er kniff leicht die Augen zusammen. »Und du vermutlich auch. Du bist ja nicht bloß eine Polizistin, habe ich Recht? Du hast Verbindungen
zum Regierungsapparat der Briten, das ist offensichtlich. Und du hast auch was mit Seattle zu tun. Bret
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