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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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ihnen niemand mehr entgegentritt.«
    Jules stimmte mit einem Nicken zu und griff mit ihrer heilen Hand nach der P-90. Sie trug die Maschinenpistole an einem Riemen um den Hals. Jetzt, da sie das Ding wieder in der Hand hielt, schien sie sich tatsächlich besser konzentrieren zu können.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Konzentrieren wir uns lieber auf das Wesentliche. Aber ich war schon so lange nicht mehr in einer Großstadt. Zuletzt in Sydney, nach dem Effekt, und dort liefen richtig viele Leute durch die Straßen. Das hier ist …«
    Sie machte eine hilflose Geste mit dem Lauf ihrer Maschinenpistole über die Ruinen der einstigen Metropole. Von diesem Punkt aus konnten sie ein gelbes Taxi sehen, das gegen den Stand eines Straßenverkäufers gerast und dann im Schaufenster eines Bürogebäudes gelandet war. Auf der Kreuzung von Park Avenue und 54. Straße hatten sich jede Menge stählerne Körper ineinandergefressen und hingen jetzt untrennbar zusammen, zerbrochenes Glas lag überall herum. Vom morgendlichen Berufsverkehr war nur noch ein gigantischer Schrotthaufen übrig geblieben. Aber man kam da schon durch, um dann weiter Richtung Norden, wenn man sich die Mühe machte, über die verrosteten Metallteile zu klettern.
    Rhino überprüfte die Lage im Straßenzug, den sie als Nächstes durchqueren mussten, suchte nach Heckenschützen
oder Zurückgebliebenen oder einsamen Kämpfern, die sich abgesondert hatten. Jules hingegen spürte genau, dass sich etwas in der Stadt um sie herum veränderte, als sie die unsichtbare Grenze überschritten, die ein Einflussgebiet vom andern trennte. Die Gegend hier wirkte … verlassen.
    »Klar«, schnaubte Rhino. »Ich hätte auch die letzten zwanzig Jahre am Hof von King Bubba verbringen können, aber meine Familie stammt aus Pennsylvania, und die haben einen Stammbaum bis zurück zu den Pilgervätern. Wir sind jedes Jahr hierhergekommen, wir hatten Verwandte in New Jersey.«
    Er spuckte einen Strahl dunklen Tabaksaft aus, der klatschend in einer kleinen Pfütze mit dreckigem Regenwasser landete.
    »Entschuldigung«, sagte Jules. »Manchmal bin ich wirklich ein bisschen egozentrisch. Das hat wohl mit meiner adeligen Herkunft zu tun.«
    »Wie auch immer. Jetzt haben Sie sich ja entschlossen, selbst für Ihren Lebensunterhalt zu sorgen, Gnädigste. Also an die Arbeit!«
     
    Der Heckenschütze eröffnete das Feuer auf sie kurz vor der Ecke 59. Straße und Park Avenue. Das Wort »Heckenschütze« war vielleicht eine zu großartige Beschreibung für den Mann im grellgelben Hemd, der sich aus einem Fenster im vierten Stock eines Gebäudes aus Sandstein lehnte und mit seinem AK-47-Maschinengewehr auf sie feuerte. Rhino aber bestand darauf, ihn so zu nennen. Jules war es ziemlich egal. Für sie zählte nur, dass da jemand mehrere Salven auf sie abgab. Wenn der Schütze nicht so offensichtlich inkompetent und der wilde Blätterdschungel auf dem Mittelstreifen der Straße, den sie entlanggingen, nicht so dicht gewesen wäre, hätte er sie womöglich mit sechshundert Kugeln pro Minute zersiebt.
Sie warf sich hinter einen Pflanzenkübel aus Beton und spürte, dass sie irgendwo getroffen war, und musste sich beinahe übergeben, weil ein höllischer Schmerz von ihrer ohnehin schon verletzten Schulter ausging.
    »Unten bleiben«, sagte Rhino überflüssigerweise. Sie konnte sich sowieso nicht bewegen. Die Park Avenue war in alle Richtungen blockiert, überall waren ineinander verkeilte, ausgebrannte Autowracks zu sehen. Das war ja der Grund gewesen, warum sie auf den relativ freien Mittelstreifen ausgewichen waren. Relativ frei hieß in diesem Zusammenhang, dass die Pflanzen auf dem Grünstreifen, der den Verkehr Richtung Norden von dem Richtung Süden getrennt hatte, drei bis vier Jahre Zeit gehabt hatten, unkontrolliert zu wuchern. Gelegentlich war Rhino gezwungen gewesen, sich einen Pfad mit der Machete zu bahnen, aber sie hatten sich dafür entschieden, diesen Weg zu nehmen, weil man relativ geschützt war vor eventuellen Wachposten, die in einem der höher gelegenen Stockwerke der Häuserschluchten rechts und links Ausschau hielten. Vor jemandem wie diesem gottverdammten drogenumnebelten Piratenschwein, das gerade versucht hatte, sie umzubringen.
    Er musste zu viel Kif geraucht haben oder was Ähnliches, da war sie ganz sicher, denn aus seinem gigantischen Ghettoblaster dröhnte der Song »Who Let The Dogs Out?« von den Baha Men, und er sang sogar mit, von gelegentlichem hysterischem

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