Das verlorene Land
Blackhawk von einem RPG-Geschoss getroffen wurde, das ihm das Cockpit zerriss.
Das Abseilen ging ohne Zwischenfälle vonstatten. Das Vier-Mann-Team ließ sich auf das flache Dach des zweitgrößten Gebäudes herab, das nordwestlich von Milosz’ Hochzeitstorte im Schatten eines hohen Wasserturms stand. Er war froh, dass sich dort keine Schützen verschanzt hatten. Wenn dem so gewesen wäre, überlegte er noch, wären sie inzwischen von den Geschützen der Apache-Hubschrauber zu Brei geschossen worden.
»Mir nach!«, rief Master Sergeant Wilson, und die Soldaten folgten ihm eilig über das Dach auf eine Kabine zu, durch die sie Zugang zum Treppenhaus hatten. Von dort aus konnten sie sich im ganzen Gebäude verteilen. Sie mussten eine Strecke von knapp neunzig Metern zurücklegen, aber es kam Milosz vor, als wäre sie über einen Kilometer lang. Er konnte seine Neugier nicht unterdrücken und warf einen Blick auf die Überreste des nächstgelegenen zerstörten Turms der Hochzeitstorte. Wie groß war die Chance, dass einer von diesen Verrückten dort plötzlich auftauchte und sie unter Feuer nahm? Das Wummern des umherkreisenden Kampfhubschraubers, der ihnen Feuerschutz gab, brachte ihn wieder in die Wirklichkeit des Hier und Jetzt zurück. Er legte den Sicherungshebel seines schwarzen Mossberg-590-Gewehrs zurück, gegen das er sein M-14 eingetauscht hatte. Das erste Geschoss
im Lauf war extra zum Aufbrechen von Türen geeignet, es bestand aus wachsgebundenem Metallpulver, das in einer Kampfsituation nichts brachte, es sei denn, man hielt dem Gegner den Lauf direkt vors Gesicht. Es war eigens dafür konstruiert, Türblockaden, Angeln und Schlösser zu zerstören. Sie erreichten die Tür, als ein Irrläufer von der Metallwand der Kabine abprallte. Milosz hörte das erneute Dröhnen der Kettenkanone des Apache-Hubschraubers, machte sich aber nicht die Mühe, sich umzudrehen, um das Ergebnis des Angriffs anzusehen. Wilson und Raab nahmen ihre Position neben der Tür ein.
Milosz zögerte keinen Moment. »Weg da!«, rief er, noch während er auf sie zurannte. Er zielte und schoss ein melonengroßes Loch an der Stelle, wo eben noch der Türgriff gewesen war. Er lud durch und hatte jetzt eine tödliche Kugel im Lauf. Dann trat er gegen die Tür und feuerte ins Innere.
»Ausräuchern!«, schrie Raab, während Milosz beiseite trat und der Corporal eine Granate durch den zerborstenen Eingang warf. Alle gingen in Deckung, als die Explosion den Boden unter ihren Füßen erzittern ließ. Sievers kletterte hinein, das M-249-Gewehr im Anschlag, bereit, jeden Widerstand mit einer Breitseite zu brechen, aber von innen war nichts zu hören.
»Bin drinnen links!«, rief er, und Milosz folgte ihm nach, den Finger am Abzug und den Lauf auf die nach unten führende Treppe gerichtet. Die Rangers schalteten die Taclights an ihren Waffen ein und beleuchteten den engen Raum, in dem die schimmelige Farbe von den Wänden abblätterte und überall Taubenscheiße klebte. Die Treppenstufen waren rutschig, weil sie drei Jahre lang nicht gesäubert worden waren.
Wilson und Sievers folgten ihm und stiegen die Stufen hinab wie zwei Todesengel auf der Suche nach weiteren Opfern. Das Knattern und Krachen des Gefechts draußen
ließ nur wenig nach, und Milosz vernahm ein lautes Dröhnen weiter unten im Gebäude und schloss daraus, dass mindestens eine schwere Waffe noch von hier aus abgefeuert wurde. Ab und zu vernahm er den bekannten Zischlaut einer abgefeuerten Panzergranate.
Wilson hob eine Faust und signalisierte, dass sie anhalten sollten, während er sich über Funk über die Position des Feindes zu informieren versuchte. Milosz und Sievers gingen einige Schritte voran und sicherten die Tür, die ins oberste Stockwerk führte.
»Romeo Eins-Eins an alle«, sagte Wilson. »Wir sind drinnen. Erbitte Infos über Standort des Gegners vor Ort, kommen.«
Milosz konnte die Antwort in Wilsons Kopfhörer nicht hören. Er sah nur, wie der Schwarze einmal, zweimal, dreimal nickte.
»Romeo Eins-Eins, verstanden. Nordseite, eine Etage unter dem oberen Stockwerk, ein schweres Maschinengewehr und eine unbekannte Anzahl Panzerfäuste. Ist das korrekt?«, fragte er seinen unsichtbaren und unhörbaren Gesprächspartner.
Nach einem vierten Nicken meldete Wilson sich ab. Milosz fragte sich mal wieder, wieso man bei der amerikanischen Armee einen Kopfhörer für den Funkverkehr bekam, wenn man im Hubschrauber saß, aber keinen, wenn man im Bodeneinsatz war.
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