Das verlorene Land
genommen und Sievers zum Krüppel gemacht. Etwas Ähnliches wäre auch beinahe mit Milosz selbst passiert.
Vielleicht wäre er hinter einem Esel besser aufgehoben, so wie sein Bruder. Vielleicht war das ja den Ferien in den Wäldern von Washington State vorzuziehen, wo man Rangers auf Vordermann brachte, die noch ein bisschen zu schlapp waren. Vielleicht war der Platz hinter einem Esel ja angenehmer, als Anträge für die Aufnahme von Qualifikationskursen für die Spezialkräfte auszufüllen, was sein nächster Schritt auf dem Weg in die Delta Force wäre. Es war zum Verrücktwerden, wie lang es dauerte, in der US-Army etwas zu werden und das, obwohl er ja schon der polnischen Eingreiftruppe angehört hatte.
Aber das alles war natürlich nur eine Möglichkeit.
Er war hier, weil diese Verpflichtung seinem Bruder Stepan und dessen Familie die Möglichkeit verschaffte, schon zwei Jahre früher am Siedlungsprogramm der Bundesregierung teilzunehmen. Er hoffte nur, dass sein Bruder das zu schätzen wusste. Darüber dachte er nach, als er einen nackten verwundeten Somali aus dem Gebäude schleppte und ihn einer Patrouille der Manhattan-Miliz übergab.
Der Somali war nackt, weil weder Milosz noch Wilson ihm glaubten, dass er sich ganz einfach ergab, ohne ein umgeschnalltes Sprengstoffpaket, das er im günstigen Moment zünden würde, so wie seine durchgeknallten arabischen Spießgesellen. Die beiden Milizangehörigen in ihren khakifarbenen Hosen und schwarzen Polohemden nahmen den Mann kommentarlos entgegen. Vielleicht waren es ja zwei Agenten von der National Intelligence Agency. Jedenfalls schien es nicht der erste nackte Pirat zu sein,
den sie abtransportierten. Milosz war froh, dass er den Afrikaner so schnell wieder losgeworden war, und wandte sich einem zerstörten Kahn zu, wobei er über herumliegende Gedärme und Hirnfetzen steigen musste, die ein kürzlich hier noch kämpfender Soldat im Bruchteil einer Sekunde verloren hatte. Zwei Angehörige der Navy Seals durchsuchten den ganzen herumliegenden Dreck.
»Was gefunden?«, fragte Milosz.
»Wer zum Teufel sind Sie denn?«, fragte der eine zurück.
»Fryderyk Milosz, Staff Sergeant der Army Rangers«, gab er zurück. »Der zum Teufel bin ich, du dämlicher Sack. Und? Habt ihr was gefunden?«
»Nein, Sergeant«, sagte der Soldat, ohne mit der Wimper zu zucken. »Abgesehen von einigen Anleitungen aus der Sowjetzeit noch nichts. Diese verrückten Scheißkerle sprengen sich lieber in die Luft, als uns was übrig zu lassen. Die meisten mussten wir erschießen. Sonst noch was, Sergeant?«
Milosz brummte abfällig vor sich hin und ging weiter. Die Ausländerfeindlichkeit mancher Amerikaner ging ihm manchmal ganz schön auf die Nerven. Hatte er diesem Mann nicht etwa bewiesen, dass er dazugehörte? Hatte er es nicht bewiesen, indem er gekommen war und mit der Waffe in der Hand seine neue Heimat verteidigte? Offenbar genügte das nicht.
Er überließ die beiden Navy-Typen ihrer Arbeit und kehrte zu dem Blackhawk zurück, in dessen Eingang Wilson saß und lässig die Beine herabbaumeln ließ. In der Hand hielt er ein Fläschchen, aus dem er Tabascosauce auf seine MRE-Fertigmahlzeit träufelte.
»Willst du auch was abhaben, Fred?«, fragte er. Er stellte die Flasche auf den Boden der Hubschrauberkabine. Seine Hand zitterte stark. Er rührte die Mahlzeit mit einem kackbraunen Löffel um. »Ich hab einen Chili-Mac ergattert. Davon gibt’s nicht mehr viele.«
»Nein, danke«, sagte Milosz und setzte sich neben seinen Kameraden. Er zog seinen Helm ab und rieb sich die Kopfhaut, bis sie wieder zu bluten begann.
»Lass dich doch nicht von so einem Arschloch beeindrucken«, sagte Wilson. »Ich bin froh, dass du in meiner Truppe bist.«
»Ja«, sagte Milosz müde. Mit dem Daumen deutete er auf den Kahn am Ufer. »Ich sollte mich nicht von irgendwelchen Arschlöchern beeindrucken lassen, die die Mösen von vergammelten Walen fressen, nein. Vielleicht bin ich ja einfach nur fertig, weil es Raab und Sievers erwischt hat. Die beiden waren in Ordnung.«
Wilson atmete tief aus. »Ja, das waren sie. Ich hab sie erst kennengelernt als sie aus dem Westen zu uns kamen, aber wir waren ein gutes Team. Wir alle, Fred. Du warst ein Teil davon. Und bist es immer noch.«
»Danke«, sagte der Pole, der jetzt erst merkte, wie erschöpft er war, und sich gegen den Hubschrauber lehnte. »Das ist normal. Diese Scheiß-Piraten jagen sich in die Luft und gute Leute wie Raab und Sievers gehen
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