Das verlorene Land
Bei der Delta Force gab es das, jedenfalls bei den wenigen, denen sie begegnet waren. Die GROM-Einheiten hatten welche, und sogar die Briten verteilten derartige Funkausrüstungen an ihre Soldaten, nur nicht die Amerikaner. Was zur Folge hatte, dass wertvolle Zeit verschwendet wurde, so wie jetzt.
»Okay«, sagte Wilson mit gesenkter Stimme. »Wie gesagt, ein Stockwerk tiefer, ungefähr auf halbem Weg entlang der nördlichen Seite des Gebäudes befindet sich eine Gruppe mit Maschinengewehr und ein paar Panzerfäusten,
mit denen sie versuchen, unsere Helis runterzuholen. Es wäre nicht schlecht, wir könnten ein paar Gefangene machen, aber es muss nicht sein. Also los. Sievers, du hast die Maschinenpistole, du gehst voran.«
»Mach ich doch gern«, entgegnete Sievers ohne große Begeisterung.
Seine Kameraden folgten ihm und nahmen den Korridor, durch den sie gingen, genau in Augenschein. Milosz war letzter Mann. Ab und zu hielt er an und drehte sich um, um mögliche Verfolger rechtzeitig ausfindig zu machen. Es gab keine Hinweise auf feindliche Aktivitäten in diesem Stockwerk. Kein Gewehrfeuer, keine Stimmen. Draußen vor dem Gebäude allerdings herrschte ein mörderisches Durcheinander. Am Ende des Flurs gingen sie um eine Ecke und betraten einen weiteren Gang. Auf dieser Seite des Gebäudes hatte es mehrere Raketeneinschüsse gegeben, ein Stück der Außenmauer war weggerissen und ein Teil des Bodens zerstört, so dass man durch ein gähnendes Loch ins untere Stockwerk sehen konnte. Hier und da brannten kleine Feuer. Sievers ließ sie anhalten, als sie an einer besonders zerstörten Stelle ankamen. Durch ein riesiges Loch in der Decke konnte Milosz den Himmel sehen, der sich wie ein hungriger Riese über das Gebäude zu beugen schien, nachdem er ein Stück des obersten Stocks herausgebissen hatte.
Eine Rakete zischte durch die Luft. Milosz hörte aufgeregt klingende arabische Sprachfetzen, die gleich wieder vom Dröhnen des schweren Maschinengewehrfeuers übertönt wurden. Die Männer gingen in die Hocke und richteten die Waffen auf das Loch im Boden. Wilson gab Milosz ein Zeichen, dass er ein paar Handgranaten bereitmachen sollte, dann schoben sie sich langsam an den Rand der Öffnung. Draußen ging das Donnern des Gefechtslärms weiter. Das Zischen der Raketen und Krachen der Geschütze wurde ab und zu von dem Wummern der Blackhawk-
und Apache-Helikopter übertönt. Vor dem zerklüfteten Loch im Boden, direkt vor dem breiten Riss in der Wand gingen sie in Position, und auf ein Kommando von Wilson warfen sie ihre Granaten nach unten. Die Detonationen erschütterten das Stockwerk unter ihnen in einem irren Rhythmus, und als das Klingeln in Milosz’ Ohren aufgehört hatte, konnte er keine Geräusche mehr von den Männern im unteren Stockwerk hören.
»Alles klar«, sagte Raab, der sich aufgerichtet hatte, um einen kurzen Blick über den Rand nach unten zu werfen.
»Also los«, rief Wilson, »weiter geht’s.«
Er war erschöpft. Seit seiner Zeit im Irak war er nicht mehr so müde gewesen. Aber damals war er nicht in derart gefährliche Nahkampfaktionen verwickelt gewesen.
Eine Stunde nach dem letzten Schuss zitterten Milosz’ Hände noch immer, wenn er die Zigarette zum Mund führte.
Warum bin ich bloß nicht in Polen geblieben?
Die Antwort auf diese Frage kannte er nur zu gut. In Polen gab es keine Zukunft. Aber nun, nachdem er in einem Gefecht auf engstem Raum mit drei Dutzend vollgedröhnten Piraten niederster Gesinnung beinahe getötet worden wäre. Die waren es nicht wert … wie hatte Wilson sich ausgedrückt? Ah ja, nicht mehr wert als Hühnerscheiße auf der Wasserpumpe. Das war ein guter Ausdruck. Ein amerikanischer Ausdruck. Sie waren nicht mehr wert als Hühnerscheiße auf der Wasserpumpe. Genau, aber da er von diesen Idioten beinahe umgebracht worden wäre, stellte sich die Frage, warum er mit der Familie seines Bruders hierhergekommen war, in einem ganz neuen Licht. Seine Angehörigen befanden sich in Sicherheit in einem Aufnahmelager in Texas, dort, wo die Cowboys lebten. Und er stiefelte hier herum und ließ sich von irgendwelchen dämlichen Piraten unter Beschuss nehmen, die noch nicht mal genug Mumm in den Knochen hatten, ihn nahe
genug rankommen zu lassen, damit er ihnen mit dem Messer die Kehle durchschneiden konnte.
Als Raab und Sievers versucht hatten, einen der Verwundeten zu fangen, hatte dieser Verrückte sich selbst in die Luft gesprengt und dabei Raab mit ins Jenseits
Weitere Kostenlose Bücher