Das verlorene Land
und ihr Krächzen klang wie das grausame Lachen dummer
alter Männer. Er merkte, wie er benommen wurde, und fürchtete schon, er könnte jeden Moment ohnmächtig zu Boden fallen und nie mehr aufstehen.
Aber da war noch Sofia. Er musste sie so bald wie möglich von diesem Ort und den Plünderern wegbringen. Ihm blieb nur wenig Zeit, und das half ihm jetzt dabei, seine schreckliche Arbeit zu Ende zu bringen. Er machte weiter und trug seine Familienmitglieder hinein, damit er anschließend mit allem, was ihm noch geblieben war, fortgehen konnte, mit Sofia.
Das jetzt sehr ruhige Farmhaus lag am Rand einer Lichtung, die von Linden und Myrten gesäumt wurde. Die Lichtung befand sich am südlichen Fuß einer kleinen Erhebung, von der aus man Miguels Bohnenfelder überblicken konnte. Das weiße, zweistöckige Holzhaus mit Veranden an drei Seiten war mit seinen vielen Verwandten meist überfüllt gewesen, aber Mariella hatte darauf bestanden, dass alle zusammenblieben. Es war eine bittere Ironie des Schicksals, dass es jetzt für immer so gekommen war. Er schüttelte den Gedanken ab, als er den letzten toten Körper hineintrug.
Der Anblick der vielen Leichen war mehr, als er ertragen konnte, auch jetzt noch, wie sie alle in die Leichentücher gewickelt waren. Nicht nur drohte sein Herz aus dem Brustkorb zu springen, er hatte auch das Gefühl, dass er kurz davor stand, verrückt zu werden, wenn er dem Drängen nachgab, sich neben sie zu legen und aufzugeben. Stattdessen riss er sich zusammen, machte ein Kreuzzeichen, bevor er das Wohnzimmer verließ und die Tür hinter sich verschloss. Nie mehr würde er dort hineingehen. Er stieg die Treppe nach oben in den ersten Stock, wo seine Tochter vor sich hin weinte.
Die Tür zu ihrem Schlafzimmer war geschlossen. Darin hatte sie mit ihrer kleinen Schwester Maya gewohnt. Er zögerte einen Augenblick und ging dann weiter ins Elternschlafzimmer.
Überall waren Anzeichen von Gewaltanwendung zu sehen. Schubladen waren aus Schränken gezerrt und ausgeleert worden. Kleider, Spielzeuge und sonstige Sachen lagen auf dem Fußboden. Ein Stuhl war umgeworfen worden und lag im Eingang. An einem normalen Tag wäre Mariella angesichts einer derartigen Unordnung fuchsteufelswild geworden.
Er biss die Zähne zusammen und betrat das Schlafzimmer, wo er hastig herumliegende Jeans, Hemden und zwei Paar Stiefel in eine Sporttasche packte. Er zog den Armeeschlafsack, der auch für arktische Temperaturen geeignet war, aus dem untersten Fach des Schranks und holte den dicken Mantel aus Schafwolle hervor. Sie würden des Öfteren im Freien übernachten müssen, und in der Wüste und dem Ödland konnte es nach Einbruch der Dunkelheit empfindlich kalt werden. Vieles, was sie zum Leben brauchten, würden sie zweifellos unterwegs auftreiben, aber es wäre unsinnig, bestimmte Dinge dem Zufall zu überlassen. Das Wichtigste war zunächst einmal, Sofia aus dem Einflussbereich von Jackson Blackstone zu bringen, und jemanden zu suchen, der ihnen weiterhalf.
Er wusste, dass er in seiner Nachbarschaft allein stand mit dem Verdacht, dass die Road Agents im Auftrag von Blackstone unterwegs waren. Aber er hatte eine Menge Zeit investiert, um sich noch vor seiner Ankunft in dieser Gegend über die Verhältnisse genauer zu informieren und sich nicht auf den Rat sogenannter Experten zu verlassen. Er hatte Mexikaner befragt, Vaqueros wie er, einige von ihnen waren Siedler geworden, andere Banditen, die in den Grenzregionen operierten. Für sie war die Sache eindeutig. Die Road Agents handelten im Auftrag von Fort Hood.
Miguel wollte schon das Zimmer verlassen, als sein Blick auf ein großes, silbern gerahmtes Foto von Mariella und den Kindern fiel, das auf einem Mahagoni-Schrank stand,
dessen Schubladen offen standen. Einen Moment lang zögerte er, dann nahm er es und zog das Bild aus dem Rahmen. Seine Hände zitterten, aber er schaute es noch einmal an. So lebendig hatten sie bis vor wenigen Minuten noch ausgesehen. Er kämpfte gegen die mächtigen Gefühle an, die ihn übermannten. Diese glückliche Zeit war nun für immer so weit von ihm entfernt wie die Sterne am nächtlichen Himmel. Wie konnte es nur sein, dass er noch lebte, dass seine Finger sich noch bewegen und über das Bild seiner hübschen Frau und seiner fröhlichen Kinder streichen konnten, wo sie doch alle für immer verschwunden waren, bis auf Sofia, die in ihrem Zimmer am anderen Ende des Flurs lag und sich die Augen ausweinte.
Miguel steckte das Bild
Weitere Kostenlose Bücher