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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Birmingham
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versuchte das brennende Gefühl in seinem Magen zu ignorieren. Sein Körper war zum größten Teil gefühllos geworden, vor allem seine Beine, als hätte er stundenlang in falscher Position gelegen und die Blutzufuhr abgeschnitten. Seine Finger kribbelten schrecklich, als hätte er ein elektrisches Kabel angefasst. Etwas früher am Tag hatte er das Gefühl gehabt, sein Brustkorb müsste von innen her zerbersten, aber nun schlug sein Herz langsam und gleichmäßig wie eine gefühllose Maschine.
    Miguel brauchte eigentlich keine neuen Laken und Tücher, er hatte genug davon, aber es half nichts, wenn das Mädchen hier neben ihm herumstand. Großmutter Ana hüllte er in die bunte Patchwork-Überdecke, die sie im
Flüchtlingscamp in Australien an den Abenden zusammengenäht hatte. Sein Blick verdüsterte sich, und ein harter Panzer legte sich um sein Herz, als er eine Armeedecke um seinen Sohn, den kleinen Manny, schlang. Diese Decken hatten sie von der Bundesbehörde in Corpus Christi bekommen, nachdem sie in das Siedlungsprogramm aufgenommen worden waren. Die Kinder hatten Maria an den Rand des Wahnsinns getrieben, weil sie ständig versucht hatten, im Wohnzimmer daraus ein Zelt zu bauen. Im letzten Winter war das gewesen, als es so viel regnete.
    In Corpus Christi hatte er auch zum ersten Mal gehört, dass es diese Road Agents gab, im Vortrag eines FBI-Mannes über die Gefahren an der Grenze der Zivilisation. Er hatte nichts darüber gesagt, dass diese Leute zu Fort Hood gehörten, aber Miguel hatte trotzdem versucht, so viel wie möglich darüber herauszufinden. Er hatte sich eingebildet, vorsichtig zu sein, aber es hatte nichts gebracht.
    Während er von einem Familienmitglied zum nächsten ging, um sie zum letzten Mal zuzudecken, versuchte er für jeden ein Gebet zu sprechen, merkte aber, dass ihm nicht die rechten Worte einfielen. Er konnte nicht mehr beten. Nur ein einziges Mal geriet er ins Wanken, als er vor seiner Tochter Maya stand. Im Tod sah sie genauso verletzlich aus wie im Leben. Ein leises Wimmern stieg seine Kehle hoch, und er musste sich ganz fest auf die Lippen beißen, bis es blutete, um nicht von dem Gefühlsausbruch überwältigt zu werden. Er wollte später um sie trauern. Jetzt war immerhin noch Sofia da, und er musste sich zuallererst um ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen kümmern, wenn er die sterblichen Überreste seiner anderen Familienmitglieder versorgt hatte.
    Nur Mariella, seine Frau und die große Liebe seines Lebens, nahm er ohne sie vorher einzuwickeln in die Arme, um sie hochzuheben. Glücklicherweise waren ihre Lider geschlossen. Er hätte es nicht ertragen, in ihre toten Augen
schauen zu müssen. Es war schon schlimm genug, sie tragen zu müssen und ihren toten Körper dicht an seinem eigenen zu spüren. Ein primitiver, irrationaler Gedanke kam ihm, er dachte, er könnte sie vielleicht wieder zum Leben erwecken, wenn er sie nur heftig an sich presste und ihr von seiner Körperwärme abgab. Ihre Haut war doch noch warm, nur leider blutverschmiert und schrecklich leblos. Er gab ihr einen leichten Kuss auf die Stirn, während er sie durch die Gittertür ins Haus und dann ins Wohnzimmer trug. Für einen unbeteiligten Besucher hätte es auch aussehen können, als würde ein Frischvermählter seine Braut ins Heim tragen, wo sie ihre gemeinsame Zukunft verbringen wollten. Vorsichtig legte er sie auf die Couch und ignorierte die sinnlos mahnende Stimme in seinem Kopf, die ihn ausschimpfte, weil er den Stoff des Möbelstücks mit ihrem Blut ruinierte. Es war Mariellas Stimme, natürlich.
    Jetzt, da er im Haus war, konnte er Sofia hören, die oben in ihrem Zimmer weinte. Das Weinen machte ihm seltsamerweise wieder Mut. Immerhin war sie jetzt nicht mehr diese gefühllose Puppe, als die sie eben noch herumgelaufen war. Ganz offensichtlich hatte sie es nicht bis zur Hütte geschafft, um die Hunde loszubinden. Er konnte immer noch das Bellen der aufgeregten Tiere in der Ferne hören. Ein Teil von ihm drängte ihn, zu ihr zu gehen und sie in die Arme zu nehmen. Aber das war nicht möglich. Er musste sich um das kümmern, was jetzt dringend nötig und erforderlich war.
    Die Tür mit dem Fliegengitter klapperte, als er sie aufstieß, um draußen im Hof weitere Tote aufzuheben. Die Sonne war schon aufgegangen, aber es war noch kühl so früh am Tag. Die Bäume am Horizont waren mit dicken Eiskrusten und Schneeklumpen bedeckt, die ihre Äste nach unten drückten. Über ihm flogen ein paar Krähen,

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